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Mittelalter, Abkürzung MA., lateinisch Media Aetas, Medium Aevum, in der europäischen Geschichte Bezeichnung für den Zeitraum zwischen Altertum und Neuzeit. Seiner Erforschung widmet sich die Mediävistik.

Begriffsinhalt[]

Die Vorstellung von einem mittleren Zeitalter zwischen Altertum und Neuzeit entstand im Humanismus (Ende 15./Beginn 16. Jahrhundert), der sich programmatisch am antiken Menschenbild orientierte. Das Mittelalter wurde als eine sich an die Antike anschließende »dunkle« Zeitepoche verstanden, geprägt durch den allgemeinen Verfall der lateinischen Sprache und Bildung innerhalb des katholischen Abendlandes, die nun einer neuen, »hellen« Zeit der Wiedergeburt antiker Gelehrsamkeit (Renaissance) wich. Die hier anklingende negative Bewertung wurde von der Aufklärung (18. Jahrhundert) verstärkt aufgegriffen (»finsteres Mittelalter«). Der Leidener Historiker Georg Horn (* 1620, † 1670) gliederte die Kirchengeschichte (1666), der Hallenser Historiker Christoph Cellarius (* 1638, † 1707; »Historia tripartita«, 1688) die allgemeine Geschichte nach dem Schema Altertum – Mittelalter – Neuzeit. Trotz grundsätzlicher Bedenken (aus universalhistorischer Sichtweise) gegen diese üblich werdende Dreiteilung des Geschichtsverlaufes hat sich der Begriff Mittelalter – zumindest für die europäische Geschichte – als Epochenbezeichnung behauptet, zumal der früher v. a. von der marxistischen Forschung vorgeschlagene Alternativbegriff »Feudalzeitalter« wesentliche Erscheinungen der zu beschreibenden Epoche, wie die Entwicklung der Kirche und des städtischen Lebens, nicht ausreichend berücksichtigte.

Zeitliche Eingrenzung und Periodisierung: Umstritten sind sowohl Epochencharakter sowie Beginn und Ende des Mittelalters wie auch die Periodisierung innerhalb des Mittelalters in die Teilepochen Früh-, Hoch- und Spätmittelalter, da die wesentlichen Entwicklungen in den Bereichen politische Geschichte, Verfassungs-, Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Geistesgeschichte sowie auch in den einzelnen Ländern nicht immer synchron verlaufen sind.

Die Problematik zeigt sich besonders bei der Abgrenzung des Frühmittelalters von der Antike, wo man auf eine Fülle von Vorschlägen trifft, die sich über einen Zeitraum von nahezu einem halben Jahrtausend – von der Krise des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen (800) – erstreckten und sich vorwiegend an der politischen Ereignisgeschichte orientierten. Eine gewisse Einigkeit besteht allerdings darüber, dass Epochengrenzen sich nicht punktuell festlegen lassen, sondern die Annahme einer längeren Übergangszeit voraussetzen. Als eine solche wurde das Zeitalter der Völkerwanderung (4.–6. Jahrhundert) angesehen. Wenn auch in dieser Zeit in der Begegnung von Antike, Germanen und Christentum wesentliche Grundlagen der frühmittelalterlichen Welt geschaffen wurden, so ist auch dieser zeitliche Ansatz nicht unumstritten. Zwar machte die ältere »Katastrophentheorie« den Einbruch der Germanen in das Römische Reich verantwortlich für den Untergang der römisch-antiken Kulturwelt, doch erstrebten die Germanen zunächst eine Teilhabe am Imperium, wenn auch unter eigenen Königen (Goten), erzwangen aber auch die Landnahme, wenn sie ihnen verwehrt wurde (Wandalen), und erschienen schließlich als Eroberer, die eigenständige Staatsgebilde errichteten (Franken, Langobarden). Die Geschichte der Kirche und des Christentums in diesen Jahrhunderten (Ausweitung in den germanischen und keltischen Raum, Tradierung antiken Kulturgutes, Hochblüte der für die geistig-religiöse Entwicklung des Mittelalters entscheidend wichtigen Patristik) widerspricht ebenfalls der These vom absoluten Verfall. Allerdings ist die im Wesentlichen von der Wirtschafts- und Sozialgeschichte her konzipierte Antithese der »Kontinuitätstheorie« anfechtbar, wenn auch nicht zu bezweifeln ist, dass sich v. a. im Bereich der Institutionen, Administration und Kultureinrichtungen (Stadt) über eine sehr lange Zeit ein tief greifender Unterschied erhalten hat zwischen den Landschaften, die jahrhundertelang von römischer Herrschaft geprägt worden sind, und jenen, die niemals zum Römischen Reich gehört haben.

Eine andere Auffassung (H. Pirenne) setzt die entscheidende Zäsur mit dem zerstörenden Einbruch des Islam in die Mittelmeerwelt an (7./8. Jahrhundert). Auch diese These ist wesentlich von der Wirtschaftsgeschichte her begründet, und die Spezialforschung hat auch in diesem Fall ihre Einseitigkeit korrigiert, doch die historische Tragweite der Geschehnisse ist richtig erfasst: Die antike Einheit des Mittelmeerraumes wurde durch den »Arabersturm« gesprengt. Als Ergebnis von Völkerwanderungszeit und islamischer Expansion bildete sich bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts das Mächtesystem heraus, in dem Byzanz, das Reich der Kalifen (arabisch Kalifat) und die aufsteigende Macht des Westens, das Fränkische Reich, die dominierenden Faktoren darstellten. Das Papsttum aber trat, indem es die Aufrichtung der karolingischen Monarchie durch Pippin III. 751 unterstützte, aus dem Rahmen der alten Reichskirche heraus und entging damit der Gefahr, in eine seine Freiheit aufhebende Abhängigkeit vom byzantinischen Kaiser zu geraten (Cäsaropapismus): eine Entscheidung von größter Bedeutung, die sich in der Kaisererhebung Karls des Großen (800) vollendete, wodurch die politische und geistige Trennung des lateinisch geprägten Abendlandes vom griechischen Osten besiegelt wurde (vertieft durch das Morgenländische Schisma, 1054; Zweikaiserproblem).

Die frühmittelalterliche Sozialstruktur wurde von einer arbeitsteilig noch wenig differenzierten Agrargesellschaft geprägt, die weitgehend von der Naturalwirtschaft lebte. Die auf dieser Grundlage entstehenden mittelalterlichen Reiche beruhten trotz aller institutionellen Prägungen auf Personenverbänden. Öffentliche Gewalt und private Rechtsbefugnis wurden begrifflich nicht unterschieden; beides floss untrennbar in der mittelalterlichen »Herrschaft« (Dominium) zusammen, die – hervorgegangen aus der Verfügungs- und Herrschaftsgewalt des Hausherrn über Grund und Boden und die hierauf lebenden Personen (lateinisch familia) – in den Formen der Grund-, Gefolgs- und später Lehnsherrschaft regelmäßig als elitäre Adelsherrschaft erscheint. An der Spitze dieser Personenverbände stand der König, dessen Stellung durch die enge Einbindung der christlichen Kirche in seinen Herrschaftsverband und das Ritual der christlichen Königsweihe (Salbung) eine bedeutsame herrschaftliche und charismatische Aufwertung erfuhr. Die Gesellschaft formierte sich hierarchisch in Ständen.

Auch bei der Abgrenzung zwischen Früh- und Hochmittelalter kam die Forschung in den einzelnen europäischen Ländern unter dem Eindruck des jeweiligen »nationalen« Geschichtsverlaufs zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. So war es in Deutschland lange üblich, das Hochmittelalter mit der Entstehung des »Reichs der Deutschen« (»Regnum Teutonic[or]um«; seit dem 12. Jahrhundert Heiliges Römisches Reich genannt) aus dem Ostfränkischen Reich im 10. Jahrhunderts beginnen und mit dem Zusammenbruch der Stauferherrschaft (um 1250) enden zu lassen. Demgegenüber orientiert sich eine neuere Forschungsrichtung weniger an der dynastischen Geschichte der Kaiserzeit, sondern versucht vielmehr, das Hochmittelalter als gesamteuropäische Epoche zu begreifen. Folgt man dieser Sichtweise, wird man die Epochengrenze wesentlich später, etwa gegen Mitte des 11. Jahrhunderts, ansetzen, da um diese Zeit fast im gesamten Abendland ein tief greifender Wandlungsprozess einsetzte, der nahezu alle Lebensbereiche erfasste und einen allgemeinen »Aufbruch« der mittelalterlichen Gesellschaft zu neuen Lebens- und Bewusstseinsformen auslöste. Initiiert wurde dieser Prozess durch ein stetiges Bevölkerungswachstum, das sich im 12. und 13. Jahrhundert dramatisch beschleunigte und bis ins 14. Jahrhundert hinein anhielt. Um den gestiegenen Nahrungsbedarf zu decken, wurden verbesserte Anbau- und Arbeitsmethoden (Dreifelderwirtschaft, neue Pflugtechniken) entwickelt und neue Anbauflächen durch Neusiedlung und Rodung erschlossen. Die hierdurch ausgelöste wirtschaftliche Dynamik erfasste neben dem Agrarbereich auch Handwerk, Gewerbe und Handel, was wiederum zum Aufschwung der Geldwirtschaft wie auch zur Entstehung eines dichten Netzes von Märkten und Städten führte. Motor dieses Wandlungsprozesses war eine beeindruckende »horizontale« und »vertikale« Mobilität der bisher unfreien Landbevölkerung, der es gelang, im Rahmen der Neusiedlungsbewegung (u. a. Rodungen, deutsche Ostsiedlung), durch Abwanderung in die entstehenden Städte oder durch sozialen Aufstieg im Herrendienst (Ministerialität in Deutschland) die archaischen Formen bodengebundener Abhängigkeit von unmittelbarer Herrengewalt zu sprengen. Der sich aus Vasallen, in Deutschland auch aus Ministerialen ausbildende Ritterstand wurde zum Träger eines besonderen Standesethos und einer eigenen übernationalen höfischen Kultur (höfische Literatur, Minnedienst). Im Rahmen dieser allgemeinen Neuorientierung wurde auch die Kirche von einer religiösen Erneuerungsbewegung (Kirchenreform; Zentrum: Cluny) erfasst, die die Befreiung der Kirche von weltlicher Herrschaft und Verstrickung in weltliche Angelegenheiten erstrebte (Libertas Ecclesiae; Verbot von Priesterehe, Simonie, Laieninvestitur). In dem hierdurch ausgelösten Investiturstreit zwischen Kaisertum und Papsttum (1075–1122) zerbrachen die frühmittelalterlichen Ordnungsvorstellungen vom gleichberechtigten Nebeneinander der geistlichen und weltlichen Gewalt (Zweigewaltenlehre) und wurden vom hierokratischen Herrschaftsanspruch des Papsttums abgelöst. Mit dem kirchlichen Erneuerungsprozess wurde endlich auch eine große Blütezeit des europäischen Geisteslebens (Renaissance des 12. Jahrhunderts) ausgelöst, deren Zentrum in Frankreich lag und die neben den ersten Universitätsgründungen in Paris und Bologna auch eine neue Theologie (Scholastik) hervorbrachte.

Die für das Hochmittelalter prägende demografische und wirtschaftliche Wachstumsphase reichte bis in das zweite Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts, als katastrophale Missernten, verbunden mit Viehseuchen, eine erste Agrarkrise auslösten. Dennoch neigt die Forschung dazu, den Beginn des Spätmittelalters in Deutschland wesentlich früher anzusetzen. So wird in der Literatur meist der Zusammenbruch der Stauferherrschaft (um 1250) mit dem nachfolgenden Interregnum (1254–73) als die entscheidende Zäsur gesehen, die das Spätmittelalter eingeleitet habe. Ein Teil der Forschung neigt sogar dazu, diesen Zeitpunkt noch weiter, auf den Beginn des 13. Jahrhunderts, vorzuverlegen. Hierfür sprechen gute Gründe, da – im Nachhinein betrachtet – gegen Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts historische Entscheidungen fielen, die die künftige Entwicklung in neue Bahnen drängten. Während sich in Westeuropa gegen Ende des 12. Jahrhunderts bei der Nachfolge in der Königsherrschaft das dynastische Erbprinzip endgültig durchsetzte, trugen in Deutschland das Scheitern des Erbreichsplanes Kaiser Heinrichs VI. und die Doppelwahl von 1198 entscheidend dazu bei, dass hier am Ende der Gedanke der Königswahl mit der Ausbildung besonderer Königswähler (Kurfürsten) den Sieg davongetragen hat. Bereits mit der Doppelwahl wurde außerdem deutlich, dass der Versuch des staufischen Königtums, mithilfe der Reichsministerialität eine allgemeine Reichsverwaltung aufzubauen, gescheitert war, was dazu führte, dass das Heilige Römische Reich bis an sein Ende (1806) nie über behördenmäßig organisierte Verwaltungsinstitutionen verfügen sollte. Auch auf europäischer Ebene sprechen Ereignisse wie die 1187 erfolgte Eroberung Jerusalems durch die Muslime, der erfolglose dritte Kreuzzug und die Pervertierung des Kreuzzugsgedankens durch die Eroberung Konstantinopels und die Begründung des »Lateinischen Kaisertums« in Byzanz (1204), der Zusammenbruch des Angevinischen Reiches und der Aufstieg der französischen Monarchie (Schlacht von Bouvines 1214) sowie auch das Pontifikat Innozenz' III. (1198–1216), eines der bedeutendsten Päpste des Mittelalters, für die Annahme eines tiefen Einschnitts und damit den Beginn einer neuen Epoche um die Wende vom 12. auf das 13. Jahrhundert.

Ende des Mittelalters[]

Nach herkömmlicher Auffassung endete das Spätmittelalter mit dem ausgehenden 15./einsetzenden 16. Jahrhundert, wobei zur Stützung dieser Ansicht auf ganz unterschiedliche Tatbestände wie den Beginn der Reformation (1517), die Einleitung des »Zeitalters der großen Entdeckungen« (insbesondere mit der Landung von C. Kolumbus in Amerika 1492), die Entfaltung des Humanismus oder den Italienzug des französischen Königs Karl VIII. (1494/95) verwiesen wird. Der Vorschlag einzelner Autoren, diesen Zeitpunkt um mindestens zwei Jahrhunderte vorzuverlegen, hat sich bisher nicht durchgesetzt. Wenn auch zuzugeben ist, dass bestimmte Grundlagen moderner Staatlichkeit wie des Menschen- und Naturbildes bereits im 13. und 14. Jahrhundert gelegt wurden, so behauptete sich die Einsicht, dass erst mit der Reformation die mittelalterlichen Ordnungsvorstellungen endgültig zerbrochen sind. Dieser tiefe Einschnitt spricht auch dafür, die Neuzeit nicht erst mit dem Ausbruch der Französischen Revolution (1789) beginnen zu lassen.

Die Epoche des Spätmittelalters erscheint der Geschichtswissenschaft bisweilen als eine Krisenzeit, die jedoch nicht allein von Depression und Resignation, sondern auch von vitaler Widerstandskraft, Kreativität, Individualität und schöpferischem Neubeginn geprägt wurde. So lösten im 14. Jahrhundert Hungersnöte und Pestepidemien mit ihren dramatischen Menschenverlusten zwar eine lang anhaltende Agrardepression – begleitet von einer monetären Krise – aus; andererseits profitierte ein großer Teil der Überlebenden von der nun im Wert gestiegenen menschlichen Arbeitskraft. Zu der wirtschaftlichen Krise trat nach den überzogenen Herrschaftsansprüchen Papst Bonifatius' VIII. eine Krise des Papsttums, die sich bald zu einer allgemeinen Krise der Kirche steigerte (Residenz der Päpste in Avignon im Einflussbereich der französischen Krone 1309–77, Abendländisches Schisma, vergebliche Kirchenreformversuche auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts in Konstanz, Basel-Ferrara-Florenz). Dass auch in weiten Teilen der Bevölkerung ein gewisses Krisenbewusstsein bestand, machen die sich rasch radikalisierende Bewegung der Flagellanten und die von Südfrankreich ausgehenden blutigen Judenverfolgungen der Jahre 1348–49 deutlich. Die Zunftkämpfe in den deutschen Städten sind nur ein Teilaspekt der Volksbewegungen, die seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts das westliche und südliche Europa erschütterten und sich um 1380 auch in den ost- und südosteuropäischen Raum ausweiteten. Es waren Elendsrevolten, städtische Aufruhrbewegungen und Bauernaufstände, die vor dem Hintergrund des allgemeinen Rückgangs der Prosperität mannigfache – politische, wirtschaftliche und soziale – Ursachen hatten. Dabei war nicht der Umsturz der bestehenden Sozialordnung, sondern die Abstellung von Missständen das Hauptziel. Geprägt wurde das Spätmittelalter aber auch positiv durch das Aufblühen der Stadtkultur, die frühkapitalistischen Wirtschaftsformen (neue Zahlungs- und Kreditformen, Banken- und Versicherungswesen, Börsen) zum Durchbruch verhalf. Ermöglicht wurde diese Entwicklung nicht zuletzt auch durch neue Formen der Bildungsvermittlung (Universitäten, Laienschulen in den Städten) wie auch neue Bildungsinhalte, die einerseits (in Deutschland) in der Mystik zu einem Höhepunkt verinnerlichter Frömmigkeit führten, andererseits aber auch mit der Aristoteles-Rezeption die Grundlagen für den Aufstieg der modernen Naturwissenschaften schufen und damit einer neuen »Rationalität« den Weg ebneten.

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