Lateinische Sprache, die Sprache im antiken Rom; ursprüngliche Stammessprache der Latiner im Westen Mittelitaliens. Sie gehört zu den indogermanischen Sprachen und bildet mit dem Faliskischen eine eigene Gruppe innerhalb der italischen Sprachen.
Verbreitung[]
Die Expansion der Herrschaft Roms trug die lateinische Sprache zunächst als Amts- und Verwaltungssprache in die unterworfenen Gebiete, wo sie die einheimischen Sprachen verdrängte, zuerst auf der Apenninenhalbinsel (bis auf noch bestehende Reste des Griechischen im Süden) und auf den Inseln im westlichen Mittelmeer, dann auf der Iberischen Halbinsel (wo nur die Basken nicht romanisiert wurden), in Gallien (Frankreich) und in weiten Teilen des südlichen Alpengebietes, zuletzt in Dakien (Rumänien); in allen diesen Gebieten werden heute romanische (auf das Lateinische zurückgehende) Sprachen gesprochen. Infolge der spanischen, portugiesischen und französischen Kolonisation Amerikas und der Aufnahme starker romanischer Elemente ins Englische und dessen Ausbreitung nach Übersee existieren heute in großen Teilen der Erde Sprachen, die mehr oder weniger auf der lateinischen Sprache basieren. – Dagegen konnte die lateinische Sprache weder in der von griechischer Kultur durchdrungenen Osthälfte der Mittelmeerwelt noch in den geschlossenen Siedlungsräumen der Germanen Fuß fassen; doch wurden die in das lateinische Sprachgebiet vorgedrungenen germanischen Stämme (Wandalen, Goten, Langobarden, Burgunder, Westfranken) romanisiert. In Nordwestafrika wurde die seit 146 v. Chr. lebendige lateinische Sprache mit der Verbreitung des Islam seit dem 8. Jahrhundert n. Chr. durch das Arabische verdrängt.
Da die Christianisierung West- und Mitteleuropas vom lateinischen Sprachgebiet ausging und die Kirche den Zusammenhang mit Rom wahrte, blieb auch nach dem Ende des Weströmischen Reiches (476 n. Chr.) Latein die Sprache von Kultus (Kirchenlatein), Bildung und Verwaltung. Im gesamten Mittelalter und bis weit in die Neuzeit bildete die lateinische Sprache in Unterricht und Forschung, in Diplomatie und Dichtung (mittellateinische Literatur, neulateinische Literatur) das Verständigungsmittel der Gebildeten.
Seit dem 17. Jahrhundert lösten die Nationalsprachen die lateinische Sprache als Wissenschaftssprache ab; doch beruht die gesamte wissenschaftliche Terminologie und Nomenklatur u. a. von Medizin, Pharmazie, Zoologie, Botanik und Chemie auf der lateinischen Sprache (oder auf latinisiertem Griechisch). Aufgrund dieses jahrhundertelangen Einflusses hat die lateinische Sprache in vielen europäischen Sprachen Spuren in Wortschatz und Satzbau hinterlassen, besonders – infolge der hohen Bedeutung des römischen Rechts und seiner Rezeption in der Rechtsentwicklung Mittel- und Westeuropas sowie den von diesen geprägten Kulturen – in der Gerichts- und Verwaltungssprache. Diese Rolle der lateinischen Sprache als ursprüngliche Trägerin der west- und mitteleuropäischen Kultur begründete ihre Stellung im Fächerkanon der höheren Schulen (altsprachlicher Unterricht).
Lexikalische und grammatische Eigenart[]
Der Erbwortschatz der lateinischen Sprache wurde durch eigenständige Neuprägungen (filius »Sohn«), aber auch Entlehnungen aus Nachbarsprachen seit vorliterarischer Zeit bereichert, so aus dem Etruskischen (histrio »Schauspieler«), dem Oskischen (popina »Garküche«), v. a. aber aus dem Griechischen; neben der Entlehnung von Termini der Zivilisation aus den süditalischen, von Griechen besiedelten Gebieten (machina »Maschine«) spielte die literarische Übernahme von Begriffen der Bildung in der Originallautung (philosophia) oder als Lehnübersetzung (essentia aus griechisch ousia) eine bedeutende Rolle.
In der Nominalflexion werden sechs Kasus unterschieden (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Ablativ – der auch die Funktionen von Lokativ und Instrumentalis übernahm – und Vokativ). Völlig umgestaltet (z. B. durch Verschmelzung von Aorist und Perfekt, Konjunktiv und Optativ) wurde das aus der indogermanischen Grundsprache übernommene Verbalsystem, das nicht mehr den Aspekt, sondern die Zeitverhältnisse bezeichnet, und zwar sowohl den zeitlichen Bezug zum Sprecher (Präsens, Präteritum, Futur) als auch das zeitliche Verhältnis verschiedener Vorgänge zueinander (Gleich-, Vor- und Nachzeitigkeit); diesem Zweck dienten zum Teil neu geschaffene Tempora (Plusquamperfekt und Futur II).
Entwicklung[]
Die lateinische Sprache weist acht Entwicklungsperioden auf: 1) Aus der vorliterarischen Zeit bis 240 v. Chr. sind nur Sprachreste (z. B. Inschriften, aber auch Zitate in späteren Texten) erhalten. Die Festlegung des Wortakzents zunächst auf die erste Silbe führte zur Schwächung der Vokale der Nebensilben, wobei entsprechende Formen (z. B. decmus statt decimus »der Zehnte«) zum Teil später wieder rückgängig gemacht wurden. 2) In der altlateinischen literarischen Periode (240 bis etwa 100 v. Chr.) waren die durch die Sprachentwicklung bedingten Doppelformen (z. B. divus und deus »Gott«) noch zahlreich; charakteristisch war auch ein einfacher Satzbau: Nebenordnung von Sätzen (statt der späteren Unterordnung) herrschte vor. Tief greifende lautliche Veränderungen zwischen dem 5. und 2. Jahrhundert v. Chr. waren u. a. Monophthongierung von oi und eu/ou zu langem u, Wandel von innervokalischem s zu r sowie Beseitigung von Konsonantengruppen durch Assimilation oder Vereinfachung. 3) In der klassischen, der »goldenen« Latinität (100 v. Chr.–14 n. Chr.) wurden die Doppelformen eliminiert (»Normierung«), für die Wortwahl war der Purismus kennzeichnend, und es erfolgten die Ausbildung des klar gegliederten Satzgefüges (»Periode«) nach griechischem Vorbild sowie die Festlegung der grammatischen Regeln. Der Wortakzent wurde nun an die vorletzte Silbe gebunden – bei deren Länge –, bei Kürze der vorletzten dagegen an die drittletzte Silbe. Zur klassischen Aussprache der lateinischen Sprache lateinische Schrift. 4) Während der nachklassischen, der »silbernen« Latinität (14–120) gingen Elemente der Dichtersprache auch in die Prosa ein; zugleich drangen aber auch Vulgarismen, Provinzialismen, Archaismen und Gräzismen vor. 5) In der archaisierenden Periode (120–200) wurden verstärkt Wörter aus der vorklassischen Periode wieder aufgenommen. 6) Während der spätantiken Periode (200–600) entfernten sich die normierte Literatursprache und das gesprochene Latein des Alltags (»Vulgärlatein«), das zur Grundlage für die romanischen Sprachen wurde, zunehmend voneinander, doch orientierten sich einige, besonders christliche Schriftsteller (in Predigten und Bibelübersetzungen) an der gesprochenen Sprache. Nun wurden auch Ausspracheveränderungen deutlich, so seit etwa 400 der Wandel des c [k] vor hellen Vokalen in den Zischlaut [ts] (z. B. Cicero [ˈkikero] in [ˈtsitsero] ). Für die Phonologie charakteristisch war Vokalschwund in nicht betonter Silbe (z. B. merula zu merla, »Amsel«) sowie Schwund von auslautendem -m (z. B. olim zu oli, »einst«). Im Wortschatz des gesprochenen Lateins wurden Frequentativ- und Intensivbildungen bevorzugt (z. B. acutiare »schärfen«, statt acuere); in der Syntax werden die Kasus Genitiv, Dativ und Ablativ durch Fügungen mit den Präpositionen de, ab und ad sowie allgemein analytische Konstruktionen durch umschreibende synthetische ersetzt. 7) Die lateinische Sprache des Mittelalters (mittellateinische Sprache) setzte die spätantike lateinische Schriftsprache fort, nahm aber nicht lateinische Wörter aus den Nationalsprachen auf oder bildete neue Wörter (z. B. compassio »Mitleid«). 8) Seit dem 14. Jahrhundert entwickelte sich die neulateinische Sprache.
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