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Der Ausdruck Korinthisches Christentum bezeichnet die religiöse Haltung der Anhänger Jesu von Nazareth in Korinth um die Mitte des 1. Jahrhunderts. Da es von dieser Gemeinde keine direkten Zeugnisse gibt, sondern nur die beiden Briefe ihres schärfsten Gegners, des Paulus von Tarsus, ihren Charakter erschließen lassen, sind zwei Zugänge denkbar: entweder eine Verteidigung des Korinthischen Christentums gegen Paulus' Einwände oder eine Übernahme von Paulus' negativer Zeichnung der Korinther.

Verteidigung der Korinther: Andreas Dorschel[]

Der Philosoph Andreas Dorschel versucht in einem 2013 in der Zeitschrift Merkur veröffentlichten fiktiven Brief eine Ehrenrettung der Korinther gegen Paulus.[1] "In bester Formtradition der Aufklärung fingiert er [Dorschel] einen apokryphen Text samt philologischem Apparat", schreibt der Historiker Gustav Seibt: "Die multikulturelle, religiös synkretistische, erotisch freizügige spätantike Hafenstadt reagiert auf die Zurechtweisungen des zum Propheten Jesus bekehrten Gesetzes-Juden Paulus: Warum sollten Frauenhaare, überhaupt Körperteile, gleichgeschlechtlicher Beischlaf oder Kleidersitten beschämend sein? Warum sollte Erlösung nur als Exklusivangebot für Rechtgläubige gelten? Warum muss man wählen zwischen Stock und Liebe?"[2] In Korinth, so legt der Text nahe, war das Christentum einen historischen Moment lang frei. Allerdings ist das fingierte Dokument, wiederum in aufklärerischem Geist, von ironischer Doppelbödigkeit; so vergleichen die Korintherinnen sich im letzten Abschnitt ihres Briefes selbst mit "Eselinnen".

Verurteilung der Korinther: Christian Lehnert[]

Demgegenüber hält der lutherische Theologe Christian Lehnert in dem 2013 veröffentlichten Band Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus[3] an der traditionellen Verurteilung des Korinthischen Christentums fest. Er ergreift, wie es die Kirche tat, die Partei des Paulus. Nach Lehnert begriffen die Korinther die Furchtbarkeit des Kreuzes Christi nicht und kultivierten ein diesseitiges Wellness-Christentum. Während die Gemeinde von Korinth, weltgewandt und selbstsicher, ihren Glauben in Gründen habe fundieren wollen, beharre Paulus gegen sie auf der puren Annahme der unbegründbaren Überzeugung und treffe damit den Kern der Botschaft Jesu Christi. Lehnert verbindet sein Lob des Paulus mit verhaltener Kritik an den christlichen Kirchen des frühen 21. Jahrhunderts: Sie verwechselten manchmal Glauben mit Wissen und seien daher leider in Teilen korinthisch verweichlicht.

Anmerkungen[]

  1. Andreas Dorschel: Ein verschollen geglaubter Brief des Paulus an die Korinther
  2. Gustav Seibt: Die Häresie der Abgrenzungen. Andreas Dorschel entwirft ein korinthisches Christentum, Süddeutsche Zeitung Nr. 293 (19. Dezember 2013), S. 14
  3. Christian Lehnert: Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus, Berlin: Suhrkamp, 2013

Weblinks[]

Forschungsliteratur zum historischen Hintergrund[]

  • Yulin Liu, Temple Purity in 1-2 Corinthians, Mohr (Siebeck), WUNT II 343, Tübingen 2013 ISBN 978-3-16-152380-9
  • Joshua Rice, Paul and Patronage: The Dynamics of Power in 1 Corinthians, Eugene, Oregon (USA): Pickwick, 2013

siehe auch[]

1. Brief des Paulus an die Korinther

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