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Judenverfolgung. Die Existenz der Juden als Minderheit und ihr Bestreben, in der Diaspora ihre kulturelle und religiöse Identität zu bewahren, führten schon in vorchristlicher Zeit zu Judenfeindschaft und Verfolgungen. Im Römischen Reich gab es Diskriminierungen und lokale Judenverfolgungen (z. B. 30 n. Chr. in Alexandria), die sich während des jüdischen Aufstandes (66–70 n. Chr.) ausweiteten (besonders in den palästinensischen Hafenstädten). Mit dem wachsenden Einfluss des Christentums und seiner bewussten Abgrenzung vom Judentum verstärkten sich die judenfeindlichen Tendenzen. Durch die von Konstantin dem Großen und seinen Nachfolgern erlassenen Gesetze wurden die Juden Bürger minderen Rechts und Judenverfolgung reichsrechtlich sanktioniert. Zu größeren Verfolgungen kam es jedoch v. a. seit dem 12. Jahrhundert, zunächst im Zusammenhang mit der Kreuzzugsbewegung und der Ketzerbekämpfung sowie sozialen Unruhen. Mit falschen Beschuldigungen (Kollektivschuld am Tod Jesu, Hostienschändung, Verantwortung für Hungersnot und Pest) wurden die Juden sozial ausgegrenzt und verfolgt. Das 4. Laterankonzil (1215) verbot ihnen die Übernahme öffentlicher Ämter und schrieb eine Kennzeichnung ihrer Kleidung vor, durch die die Juden von Christen zu unterscheiden seien (Judenkennzeichen). 1290 wurden die Juden aus England vertrieben, 1394 aus Frankreich, 1492 nach umfangreichen Verfolgungen und Zwangstaufen (Marranen) aus Spanien und fünf Jahre später aus Portugal. Von den Reformatoren wurden Diskriminierung und Verfolgung der Juden nicht infrage gestellt. Erst im Pietismus und bei den Puritanern findet sich aufgrund ihrer Hochschätzung des Alten Testaments eine positivere Einstellung gegenüber dem Judentum, jedoch mit dem Ziel, durch Mission die Juden für den christlichen Glauben zu gewinnen. In Osteuropa, wohin viele Vertriebene ausgewandert waren, kam es 1648 im Zusammenhang mit dem von S. B. Chmelnizki angeführten Kosakenaufstand gegen die polnische Herrschaft zu einer ersten Judenverfolgung. Nachdem sich die Verhältnisse im 18./19. Jahrhundert wieder etwas beruhigt hatten, insbesondere durch die Emanzipation der Juden, d. h. der bürgerlich-rechtlichen Gleichstellung im Gefolge der Französischen Revolution (in Deutschland 1871), waren die Juden im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Antisemitismus seit Ende des 19. Jahrhunderts mit einer neuen rassenideologischen Argumentation anstelle der älteren christlich-antijudaistischen Begründung neuerlich großen Verfolgungen ausgesetzt. Das Gerücht, die Ermordung des Zaren Alexander II. sei ein jüdischer Anschlag gewesen, führte 1882 zu gewaltsamen Ausschreitungen. Diese »Pogrome« wiederholten sich in den folgenden Jahrzehnten, v. a. um 1905 und während der Revolutionsunruhen (1907–21). Sie waren verbunden mit dem Versuch der Regierung, die bis dahin erreichte Assimilation der Juden rückgängig zu machen und die Juden aus den erreichten Positionen zu verdrängen. Viele waren gezwungen, nach Westen, v. a. nach Übersee, auszuwandern. Unter dem Einfluss rassistischer Ideologien entwickelten im 20. Jahrhundert nationalistische Bewegungen diskriminierende Vorstellungen, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland 1933–45 zu einer Judenverfolgung nie gekannten Ausmaßes führten und im bürokratisch organisierten sowie industriell ausgeführten Genozid am europäischen Judentum gipfelten (Holocaust, hebräisch Schoah). Eine andersgeartete, ebenso ideologisch motivierte Unterdrückung ihrer Kultur bis hin zur Verfolgung – mit Ausgrenzungen, Schauprozessen und Deportationen – durchlitten die Juden unter stalinistischem Vorzeichen in der Sowjetunion (v. a. 1930er-Jahre, 1948–53; Antisemitismus).

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