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Die germanische Altertumskunde ist eine Disziplin der Geschichtswissenschaft, die sich auf die Erforschung der materiellen Kultur, der Lebensweise und der sozialen Strukturen der germanischen Völker konzentriert. Diese Völker, darunter die Goten, Langobarden, Sueben und Vandalen, hinterließen ein reiches Erbe an Artefakten und Überresten, die von Archäologen und Historikern erforscht werden, um ein umfassendes Bild ihrer Geschichte zu zeichnen …


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Die Goten waren ein ostgermanisches Volk, das in der Spätantike und im frühen Mittelalter eine zentrale Rolle in der europäischen Geschichte spielte. Ursprünglich aus dem südlichen Skandinavien stammend, begannen sie im ersten Jahrhundert n. Chr. ihre Wanderungen in Richtung Süden, die sie schließlich in das Römische Reich führten. Die Goten spalteten sich im 3. Jahrhundert in zwei Hauptgruppen: die Westgoten (Visigoten) und die Ostgoten (Ostrogoten). Diese Teilung prägte ihre spätere Geschichte und führte zu zwei unterschiedlichen Herrschaftsgebieten in Europa.

Ursprünge und Frühgeschichte

Die Ursprünge der Goten liegen im Dunkeln, doch die meisten Quellen verorten ihren Ursprung in Südskandinavien, genauer auf der Insel Gotland und in der Region um das heutige Götaland. Von dort aus begannen sie nach antiken Überlieferungen, darunter die *Getica* des gotischen Historikers Jordanes, im 1. Jahrhundert n. Chr. ihre Wanderungen nach Süden. Diese Überlieferung ist jedoch nicht unumstritten, und archäologische Funde legen nahe, dass die Wanderung der Goten ein längerer Prozess war, der sich über mehrere Jahrhunderte erstreckte.

Im 2. Jahrhundert siedelten die Goten an der Küste des Schwarzen Meeres, in der Region des heutigen Ukraine. Hier traten sie erstmals in direkteren Kontakt mit dem Römischen Reich. Sie entwickelten ein komplexes Stammesgefüge und begannen, in größerem Maße kriegerische Auseinandersetzungen mit den Römern zu führen. Der gotische Stamm verbündete sich auch mit anderen germanischen und skythischen Stämmen und führte Raubzüge in die römischen Provinzen durch.

Teilung in West- und Ostgoten

Im 3. Jahrhundert n. Chr. kam es zur Teilung der Goten in zwei Hauptgruppen: die Westgoten, die sich westlich des Dnjestr niederließen, und die Ostgoten, die weiter östlich in der Ukraine und im Schwarzmeerraum blieben. Diese Teilung ist sowohl politisch als auch kulturell bedeutsam, da sie den Verlauf der gotischen Geschichte maßgeblich prägte.

Die Westgoten gerieten ab dem 4. Jahrhundert unter den Druck der einfallenden Hunnen, was schließlich zu ihrer Wanderung ins Römische Reich führte. Unter ihrem Anführer Alarich plünderten sie 410 n. Chr. Rom und begründeten ein eigenes Königreich im heutigen Spanien und Südfrankreich. Die Ostgoten hingegen blieben länger im Machtbereich der Hunnen, bis sie im 5. Jahrhundert unter ihrem König Theoderich dem Großen nach Italien zogen und dort ein mächtiges Reich errichteten.

Westgoten

Die Geschichte der Westgoten ist eng mit dem Niedergang des Weströmischen Reiches verbunden. Nachdem sie 378 in der Schlacht von Adrianopel einen bedeutenden Sieg über die römischen Truppen errungen hatten, erlangten sie zunehmend Einfluss im Römischen Reich. 410 plünderten sie unter König Alarich die Stadt Rom, was als eines der wichtigsten Ereignisse des sogenannten „Untergangs des Römischen Reiches“ gilt.

Nach dem Fall Roms zogen die Westgoten weiter nach Südwesten und errichteten in den folgenden Jahrzehnten ein Königreich auf der Iberischen Halbinsel und in Südfrankreich. Ihr Herrschaftsgebiet umfasste große Teile der heutigen Länder Spanien und Portugal sowie des südlichen Frankreichs. Das westgotische Königreich bestand bis zur Eroberung durch die Mauren im Jahr 711, als der letzte westgotische König, Roderich, in der Schlacht am Guadalete fiel.

Die Westgoten spielten eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Christentums in Westeuropa, insbesondere des Arianismus, einer christlichen Glaubensrichtung, die zu dieser Zeit unter den germanischen Völkern weit verbreitet war. Erst später, im 6. Jahrhundert, wandten sich die Westgoten unter König Reccared dem katholischen Christentum zu.

Ostgoten

Die Ostgoten, die im 5. Jahrhundert unter der Vorherrschaft der Hunnen standen, gewannen nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila ihre Unabhängigkeit zurück. Unter der Führung ihres Königs Theoderich des Großen zogen die Ostgoten nach Italien und gründeten dort im Jahr 493 ein mächtiges ostgotisches Königreich. Theoderich, der im römischen Stil regierte, bemühte sich um die Vereinigung der römischen und gotischen Kulturen und strebte eine friedliche Koexistenz zwischen seinen germanischen Untertanen und der römischen Bevölkerung an.

Das Ostgotenreich in Italien spielte eine zentrale Rolle in den politischen Auseinandersetzungen des frühen Mittelalters, insbesondere in den Konflikten zwischen den Goten und dem Oströmischen Reich. Theoderich versuchte, eine stabile Herrschaft aufzubauen, indem er sowohl die römischen Institutionen als auch die gotische Kriegerelite in seine Regierung einband. Nach seinem Tod 526 geriet das Reich jedoch zunehmend unter Druck durch das Oströmische Reich, das unter Kaiser Justinian I. bestrebt war, die Kontrolle über Italien zurückzugewinnen.

Im Jahr 552 wurde das Ostgotenreich nach langen und blutigen Kämpfen gegen die Truppen Justinians endgültig zerstört. Mit dem Untergang des Ostgotenreiches endete auch die politische Macht der Goten in Europa. Ihre Nachkommen wurden entweder in das Oströmische Reich integriert oder in andere germanische Stämme assimiliert.

Religion und Kultur

Die Goten spielten eine wichtige Rolle in der Christianisierung der germanischen Völker. Unter dem Einfluss von Wulfila, einem gotischen Bischof im 4. Jahrhundert, wandten sich viele Goten dem Arianismus zu. Wulfila übersetzte auch die Bibel ins Gotische, womit er eine der frühesten germanischen Schriftschöpfungen schuf. Diese Bibelübersetzung ist eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse der gotischen Sprache und ein bedeutendes Werk der frühen christlichen Literatur.

Kulturell waren die Goten stark von den Römern beeinflusst, insbesondere in den Bereichen Architektur, Kunst und Verwaltung. In den von ihnen eroberten Gebieten übernahmen sie römische Verwaltungsstrukturen und passten sie an ihre eigenen Bedürfnisse an. In Italien versuchte Theoderich, ein synkretisches Reich zu schaffen, in dem römische und germanische Traditionen verschmolzen.

Untergang der Goten

Mit dem Fall des Ostgotenreichs in Italien und der Eroberung des Westgotenreichs durch die Mauren endete die eigenständige Geschichte der Goten. Viele Goten wurden in die romanischen und germanischen Bevölkerungen integriert, und ihre Kultur verschmolz mit den anderen Völkern Europas. Die gotische Sprache verschwand im Laufe der Zeit, obwohl es noch im Mittelalter Berichte über Nachfahren der Goten gibt, die ihre Sprache bewahrten.

Dennoch hinterließen die Goten ein bedeutendes Erbe in der europäischen Geschichte. Ihre Reiche spielten eine entscheidende Rolle beim Übergang von der Antike zum Mittelalter, und ihre Geschichte ist ein wichtiger Bestandteil der Entstehung des mittelalterlichen Europas.

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Literatur

  • Thorsten Andersson, Volker Bierbrauer, Walter Pohl, Piergiuseppe Scardigli, Rüdiger SchmittGoten. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 12, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1998, ISBN 3-11-016227-X, S. 402–443.
    (Wichtige Einführung mit ausführlichen Literaturhinweisen.)
  • Frank M. Ausbüttel: Theoderich der Große (Gestalten der Antike). 2., bibliografisch aktualisierte Auflage. WBG, Darmstadt 2012.
  • Sam Barnish, Federico Marazzi (Hrsg.): The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century. London 2007.
  • Volker Bierbrauer: Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. In: Frühmittelalterliche Studien. Band 28. De Gruyter, Berlin 1994, S. 51–171, ISSN 0071-9706
    (Wichtige Darstellung auf archäologischer Basis.)
  • Thomas S. Burns: A History of the Ostrogoths. Bloomington 1984.
  • Arne Søby Christensen: Cassiodorus, Jordanes and the History of the Goths. Studies in a Migration Myth. Museum Tusculanum Press, Kopenhagen 2002, ISBN 87-7289-710-4. (Rezension Ian Wood als PDF (englisch); 96,72 kB).
  • Dietrich Claude: Geschichte der Westgoten. Kohlhammer, Stuttgart 1970.
  • Roger Collins: Visigothic Spain, 409–711. Blackwell, Oxford u. a. 2004, ISBN 0-631-18185-7.
  • Christoph Eger: Westgotische Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel als historische Quelle: Probleme der ethnischen Deutung. In: Cum grano salis. Likias, Friedberg 2005, ISBN 3-9807628-5-8, S. 165–181.
  • Wolfgang Giese: Die Goten. Kohlhammer-Urban Taschenbücher, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-017670-6
    (Gut verständliche und konzise Darstellung, basierend auf der aktuellen Forschungslage.)
  • Peter J. Heather: Goths and Romans 332–489. Clarendon Press, Oxford 1991, 1994, ISBN 0-19-820535-X
    (Von Bedeutung vor allem in Hinblick auf die gotisch-römischen Beziehungen; vertritt teils andere Ansichten als Wolfram.)
  • Peter J. Heather: The Goths (The Peoples of Europe). Blackwell, Oxford 1996, 1998, ISBN 0-631-20932-8.
  • Ioan Ioniță: Sântana-de-Mureș-Černjachov-Kultur. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 26, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 3-11-017734 X, S. 445–455. (einführender Fachartikel zur Archäologie der Goten des 3. und 4. Jahrhunderts).
  • Gerd Kampers: Geschichte der Westgoten. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008, ISBN 978-3-506-76517-8.
    (Aktuelles und relativ umfassendes Überblickswerk.)
  • Michael Kulikowski: Rome’s gothic wars: from the third century to Alaric. Cambridge Univ. Press, Cambridge u. a. 2007, ISBN 0-521-84633-1.
    • deutsch: Die Goten vor Rom. Theiss, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-8062-2198-5
      (Konziser Überblick aus der Feder eines jüngeren Forschers, der viele Positionen von Forschern wie Heather, Bierbrauer oder Wolfram radikal in Frage stellt und insbesondere die gesamte angebliche gotische Wanderung vor 200 n. Chr. für fiktiv hält.)
  • José Orlandis: Historia del Reino Visigodo Español. Ediciones Rialp, Madrid 1988 (ND 2003), ISBN 84-321-3469-4
    (Grundlegend für das Toledanische Reich)
  • Ludwig Rübekeil: Suebica. Völkernamen und Ethnos. Institut für Sprachwissenschaft, Innsbruck 1992, ISBN 3-85124-623-3, S. 118–146.(Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft 68). (Ausführliche Darstellung und Diskussion)
  • Alexander Sitzmann, Friedrich E. Grünzweig: Die altgermanischen Ethnonyme. Ein Handbuch zu ihrer Etymologie. In: (= Philologica Germanica Bd. 29). Fassbaender, Wien 2008, ISBN 978-3-902575-07-4.
  • Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. C.H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71908-0.
  • Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie. 5. Auflage, C. H. Beck, München 2009, ISBN 3-406-33733-3
    (Grundlegendes, aber auch teilweise umstrittenes Werk, das auf den Studien von Reinhard Wenskus fußt.)
  • Herwig Wolfram: Gotische Studien. Volk und Herrschaft im Frühen Mittelalter. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52957-7.

Weblinks

Commons: Goten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gote – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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