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Vorwort.
Die Krone der Erklärung eines classischen Schriftstellers ist die richtige Uebersetzung desselben; beide, Erklärung und Uebersetzung, müssen sich ergänzend durchdringen, wodurch die letztere selbst zu einer Art Erklärung wird.
Diese Ueberzeugung nöthigt mich, vorliegendes Büchlein zu veröffentlichen. Meine Schriften[1] zur Erläuterung der Germania gehen nämlich so sehr vom ausgetretenen Wege dieses Bereiches ab, daß keine einzige der vorhandenen Uebersetzungen dazu paßt; und doch muß es mein Wunsch [4] sein, meine Behandlung des lateinischen Textes möge sich auch in der Weise zeigen und bewähren.
Außerdem sind alle bisherigen deutschen Uebertragungen der Germania so beschaffen, daß man sagen muß, es steht nicht gut mit der Sache. Fest überzeugt, daß in meinen genannten Werken die schlagendsten Beweise dieser Thatsache reichlich vorliegen, glaube ich deßhalb nichts Ueberflüssiges zu thun, wenn ich einen Versuch mache, Besseres zu leisten. Ohne Lust, hier in eine kritische Darlegung dieses Elends einzutreten, sage ich nur soviel, daß es mein Bestreben war, jedenfalls das ganze Gegentheil von Dem zu leisten, was in der leichtsinnigen und verkehrten Uebersetzung Döderleins vorliegt und nie eine Anerkennung hätte finden sollen, am wenigsten eine solche, wie sie ihr zu Theil ward.
Mein Ziel war die volle Wahrheit, welche den wahren Sinn des Autors in wahrer Form wieder zu geben und zugleich dem Genius unsrer deutschen Sprache zu huldigen strebt, einfach und schlicht, sonder Zier und Schmuck.
Januar 1876.
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Uebersicht des Inhaltes.
A. Allgemeiner Theil c. 1–27.
- I. Land und Leute Germaniens im Großen und Allgemeinen c. 1–5.
- 1. Grenzen des ganzen Landes c. 1.
- 2. Die eigentlichen Germanen sind Urbewohner des Landes und stammen von dem erdgeborenen Gotte Tuisco; Volkbenennungen c. 2.
- 3. Keine Zuwanderung von Außen c. 3.
- 4. Leibesbeschaffenheit der Germanen c. 4.
- 5. Beschaffenheit des Landes, Nationalvermögen, Handel c. 5.
- II. Schilderung des öffentlichen Lebens und Treibens der Germanen c. 6–15.
- 1. Kriegswesen, Könige und Heerführer, die Frauen im Krieg und die Prophetinnen c. 7, 8.
- 2. Die Götter und ihr Cultus c. 9.
- 3. Die Wahrsagung c. 10.
- 4. Die Volksversammlung und die Hohen c. 11.
- 5. Die Gerichte c. 12.
- 6. Das Waffenleben und die Gefolgschaften c. 13, 14.
- 7. Das Leben und die Haltung der Kriegsmänner und Häuptlinge c. 15.
- III. Schilderung des privaten Lebens der Germanen c. 16–27.
- 1. Wohnsitze und Häuser c. 16.
- 2. Kleidung c. 17.
- 3. Die Ehe c. 18, 19.
- 4. Familie und Familienrecht c. 20.
- 5. Blutrache, Fehdewesen, Behandlung der Fremden c. 21.
[6]
- 6. Charakter der Gastmähler c. 22.
- 7. Nahrungsmittel c. 23.
- 8. Lustversammlungen, Schwerttanz, Spielsucht c. 24.
- 9. Sklaven c. 25.
- 10. Ackerbau c. 26.
- 11. Tod und Begräbniß c. 27.
B. Besonderer völkerschaftlicher Theil c. 28–46.
- 1. Gallier auf der rechten Seite des Rheins und Germanen auf der linken Seite c. 28, 29.
- 2. Die nichtsuevischen Völker der Germanen c. 30–37.
- a) die westlichen: Chatten c. 30, 31; Usipier und Tencterer c. 32; Bructerer c. 33; Friesen c. 34.
- b) die nördlichen: Chauker c. 35; Cherusker c. 36; Cimbern c. 37.
- 3. Die suevischen Völker der Germanen c. 38–45.
- a) Allgemeine Schilderung c. 38.
- b) Sueven im Innern von Nordgermanien, c. 39 die Semnonen, c. 40 die Langobarden und die sieben Nerthusvölker.
- c) Südliche Sueven (Donausueven), c. 41 die Hermunduren, und c. 42 die Markomannen und Quaden.
- d) Ostsueven c. 43, besonders die Lugier mit den Hariern und Nahanarvalen, sowie die Gothen.
- e) Sueven auf Scandinavien c. 44, die Suionen und Sitonen.
- 4. Die Aestier und das Bernsteinland c. 45.
- 5. Die zweifelhaft germanischen Bastarner und Veneden, nebst den ganz ungermanischen Finnen c. 46.
Das ganze Germanien wird von den Galliern und Rhätiern und von den Pannoniern durch die Ströme Rhein und Donau, von den Sarmaten und Daken durch gegenseitige Furcht oder Berge getrennt; um das Uebrige geht der Ocean, welcher weite Busen und unermeßliche Inselräume umfaßt, wo wir vor einiger Zeit gewisse Völker und Könige kennen lernten, die uns der Krieg entdeckte. Der Rhein, auf einem unerstiegenen und steilen Firn der rhätischen Alpen entsprungen, mischt sich, nachdem ihn eine mäßige Beugung gen Westen gewendet, mit dem nördlichen Weltmeer. Die Donau, von einem sanften und mild erhobenen Rücken des Gebirges Abnoba ausfließend, berührt mehr Völker, bis sie durch sechs Läufe in das pontische Meer hinausbricht; ein siebenter Ausfluß wird von Sümpfen verschlungen.
Die Germanen selbst mag ich für Kinder des Landes halten und gar nicht durch andrer Völker Eindringen und Einkehren vermischt, weil in der Vorzeit nicht zu Lande, sondern auf Flotten heranfuhren, die ihre Sitze zu wechseln suchten, und weil der unermeßliche jenseitige und, daß ich [8] so sage, anderweitige Ocean von wenig Schiffen aus unserer Welt berührt wird. Ferner, wer sollte, neben der Gefahr eines schauervollen und unbekannten Meeres, Asien oder Afrika oder Italien verlassen und nach Germanien streben, unschön in den Landschaften, rauh durch seinen Himmel, unerfreulich zum Wohnen und für den Anblick, außer wenn es das Vaterland ist? Sie preisen in alten Liedern, bei ihnen die einzige Art der Ueberlieferung und der Geschichte, den Gott Tuisko, der Erde Sprößling, und seinen Sohn Mannus als Ursprung und Gründer ihres Volkes. Dem Mannus verleihen sie drei Söhne, nach deren Namen die Nächsten am Meere Ingävonen, die in der Mitte Herminonen, die Uebrigen Istävonen genannt würden. Einige, wie eben im freien Spiel des grauen Alterthums, behaupten mehr Söhne des Gottes und mehr Sonder-Benennungen des ganzen Volkes: Marser, Gambrivier, Sueven, Vandalier; und dieß sind wirkliche und alte Namen. Uebrigens sei das Wort Germania neu und erst vor einiger Zeit hinzugethan, weil jene, die zuerst den Rhein überschreitend die Gallier vertrieben und nun Tungren heißen, damals Germanen genannt worden. Also sei, was der Name eines Stammes, nicht der des Volkes gewesen, allmälig emporgekommen, daß Alle, zuerst vom Sieger zur Furcht, bald auch durch sich selbst mit der so erhaltenen Benennung Germanen geheißen wurden.
Daß auch Herkules bei ihnen gewesen, erwähnt man, und ihn als den ersten aller tapferen Männer besingen, die in die Treffen gehen. Auch jene Lieder haben sie, [9] durch deren Vortrag, bei ihnen Bardit genannt, sie die Herzen entflammen und der bevorstehenden Schlacht Geschick schon im Gesange ahnen. Denn sie schrecken oder zittern, wie je die Heerreihe geschallt, und nicht so Stimmen, als der Tapferkeit Einklang scheint dieß zu sein. Vorzüglich Rauhheit des Tones wird erstrebt und ein gebrochenes Gebrumm, indem sie die Schilde vor den Mund halten, auf daß die Stimme durch den Widerprall desto voller und tiefer anschwelle. Uebrigens meinen Einige, auch Ulixes habe, auf jener langen und sagenreichen Irrfahrt in den Ocean dort gerathen, die Länder Germaniens berührt, und Asciburgium, welches, am Ufer des Rheins gelegen, noch heute bewohnt ist, sei von ihm gegründet und benamt; ja selbst ein Altar, dem Ulixes geheiligt, mit beigefügtem Namen seines Vaters Laertes, sei eben dort vor Zeiten entdeckt worden; und noch seien Denkmale und gewisse Grabhügel, mit griechischen Buchstaben beschrieben, wo sich Germanien und Rhätien berühren, vorhanden; was weder zu erhärten durch Beweise, noch zu verwerfen in meiner Absicht ist; nach seiner eigenen Richtung mag ein Jeder Glauben entziehen oder gewähren.
Ich selbst trete den Ansichten Derer bei, welche glauben, daß Germaniens Völker, durch keine fremden Ehemischungen aus anderen Nationen unrein, ein eigenthümliches, naturächtes und nur sich ähnliches Geschlecht seien. Daher auch die Beschaffenheit der Körper, obgleich in einer so großen Zahl von Menschen, die nämliche bei Allen: trotzig wilde und blaue Augen, röthliche Haare, große Körper und nur [10] zum Anstürmen stark; nicht gleich groß ihre Ausdauer in Mühe und Arbeit, und am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze; an Kälte und Hunger sind sie durch ihren Himmel oder Boden gewöhnt.
Das Land, obgleich in der besondern Erscheinung etwas verschieden, ist doch im Allgemeinen entweder durch Wälder schauerlich oder durch Sümpfe wüst; mehr feucht, wo es gen Gallien schaut, mehr windig, wo nach Noricum und Pannonien; für Getreide ergiebig, Fruchtbäumen widerstrebend, reich an Heerdethieren. Doch sind sie meist gering; nicht einmal das Rind hat die ihm eigene Auszeichnung oder der Stirne Schmuck. An der Zahl freut man sich, und das ist ihr einziger und liebster Besitz. Silber und Gold ob gnädig oder ergrimmt die Götter versagten, entscheid’ ich nicht; doch möchte ich nimmer behaupten, daß gar keine Ader Germaniens Silber oder Gold zeuge, denn wer hat durchsucht? Besitz und Gebrauch regt sie nicht sonderlich an; silberne Gefäße, ihren Gesandten und Häuptern zum Geschenke gegeben, kann man bei ihnen in ganz gleich geringem Werthe sehen, wie die man aus Thon fertigt. Doch halten die an der Grenze, ob des Bedürfnisses beim Handel, Gold und Silber in Werth und erkennen mit Auswahl gewisse römische Münzarten an; die im Innern halten sich mehr einfach und hergebracht an den Austausch von Waaren. Das alte Geld und lang bekanntes ist ihnen recht, so die Stücke mit gezahntem Rande und einem Zweigespann. Ueberdieß suchen sie mehr das Silber als das Gold, nicht aus innerer Leidenschaft, sondern weil [11] eine Anzahl Silbermünzen bequemer ist für den Gebrauch, wenn man mit Allerlei und Geringem Handel treibt.
Nicht einmal Eisen erübrigt, wie aus der allgemeinen Art ihrer Waffen hervorgeht. Wenige haben Schwerter oder größere Lanzen; sie führen Speere oder, nach ihrer eigenen Benennung, Framen mit einem knappen und kurzen Eisen, das aber so scharf und für den Gebrauch handlich ist, daß sie mit der nämlichen Waffe, wie es eben das Verhältniß fordert, entweder im Handgemenge oder aus der Ferne kämpfen. Der Reiter nun hat wirklich an seinem Schilde und seiner Frame genug; das Fußvolk wirft auch kleinere Geschosse, ein Mann mehre, die sie in’s Unermeßliche schleudern, nackt oder im kleinen Mantel leicht umhüllt. Kein Prunk im Aeußern; nur zeichnen sie die Schilde mit den gewähltesten Farben; Wenige haben Harnische, kaum Einer oder der Andere Helm oder Sturmhauben. Ihre Pferde sind nicht durch Gestalt, nicht durch Hurtigkeit ausgezeichnet; aber sie werden freilich auch nicht nach unsrer Art, in verschiedenen Wendungen Kreise zu laufen, gelehrt; geradeaus treibt man sie oder in der einen Schwenkung rechtsum bei so enggeschlossener Rundung, daß Niemand hinten bleibt. Schätzt man in’s Allgemeine, so ist mehr Stärke beim Fußvolk, und darum kämpfen sie gemischt, so daß zu dem Kampfe der Reiter die Hurtigkeit der Fußgänger paßt und zutrifft, die man aus der ganzen streitbaren Mannschaft erlesen vor die Linie stellt. Auch ist deren Zahl bestimmt; aus jedem Gau sind es hundert und gerade so heißen sie auch unter den Ihrigen; [12] was also Anfangs Zahl war, ist nun wirklicher Name und Auszeichnung. Ihre Schlacht wird aus Keilen zusammengesetzt. Von seiner Stelle weichen, wenn man nur wieder andringt, gilt mehr für Ueberlegung, als für Furcht. Die Körper der Ihrigen tragen sie auch in nicht glücklichen Treffen zurück. Den Schild verlieren, ist ganz besondere Schande; bei den Opfern zu erscheinen oder in die Volksversammlung zu treten, bleibt so Schandbeladenen verwehrt; daher haben viele, die Kriege überlebend, solcher Ehrlosigkeit durch den Strick ein Ende gemacht.
Könige wählen sie nach dem Adel der Abkunft, Heerführer nach der Tüchtigkeit. Doch haben die Könige keine unbegrenzte oder freie Gewalt, und die Führer stehen an der Spitze mehr durch Musterhaftigkeit als durch Machtvollkommenheit, bewundert, wenn sie kampfgewandt, wenn sie hervorleuchtend sind, wenn sie vor der Schlachtlinie walten. Uebrigens ist weder hinrichten noch fesseln, nicht einmal schlagen erlaubt, außer den Priestern: nicht eigentlich zur Strafe, noch aus Befehl des Führers, sondern weil gleichsam die Gottheit es gebietet, die sie unter den Kriegenden gegenwärtig glauben; und daher tragen sie Bilder und gewisse heilige Zeichen, aus den Hainen geholt, in die Schlacht. Ferner, was eine vornehmliche Anregung der Tapferkeit ist, nicht Zufall, nicht Zusammenschaarung durch Ungefähr macht den Trupp oder Keil, sondern die Familien und Verwandtschaften; und die geliebten Pfänder ganz in der Nähe, von wo der Weiber Geheul zu hören, von wo das Schreien der Kinder. Diese sind Jedem die [13] heiligsten Zeugen, diese die höchsten Lobesspender. Zu den Müttern, zu den Frauen tragen sie die blutenden Leiber, und Jene zittern nicht, die Wunden zu zählen oder zu vergleichen, und bringen fortan den im Kampfe Stehenden Speise und Ermunterung.
Das geschichtliche Andenken weiß, daß einige Schlachten, schon sinkend und wankend, von den Weibern wieder hergestellt wurden durch Beharrlichkeit der Bitten, durch das Entgegenhalten ihrer Brüste, und durch das Hinzeigen auf die ganz nahe Gefangenschaft, welche der Germane im Hinblick auf sein Weib weit unüberstehlicher fürchtet, so sehr, daß die Stimmung solcher Staaten wirksamer gebunden wird, denen unter den Geiseln auch edelbürtige Mädchen abverlangt werden. Ja, daß selbst ein heiliges und prophetisches Wesen denselben inwohne, glauben sie, und man weist ihren Rath nicht ab oder vernachlässigt ihre Aussprüche. Wir selbst haben unter Vespasianus (nun bei den Göttern) die Veleda gesehen, welche lange bei den Meisten für ein Gottwesen galt. Aber auch in älterer Zeit verehrten sie göttlich eine Albruna und mehrere Andre, nicht aus Kriecherei, noch als ob man sie zu Göttinnen machte.
Von Göttern verehren sie am meisten Mercurius, dem sie an bestimmten Tagen auch Menschenopfer zu bringen für frommes Recht halten. Den Herkules und Mars besänftigen sie durch erlaubte Thieropfer. Ein Theil der [14] Sueven opfert auch der Isis. Von wo Grund und Ursprung diesem fremden Dienste ward, habe ich nicht ganz ergründet, nur daß selbst der Gottheit heiliges Zeichen, wie ein Liburnerschiff gestaltet, eine über Meer eingebrachte Religion zeigt. Im Uebrigen halten sie der Größe der Himmlischen nicht für gemäß, die Götter inner Wänden zu bannen oder irgend einer Erscheinung des menschlichen Antlitzes ähnlich zu bilden. Haine und Wälder heiligen sie, und nennen mit den Namen persönlicher Gottheiten jenes Geheimnißvolle, das sie allein durch fromme Anbetung schauen.
Götterzeichen und Loose beobachten sie wie nur immer Andere. Der Loosung fest gewohnte Art ist einfach. Einen Zweig, von einem Fruchtbaume abgehauen, schneidet man in kleine Stäbchen, unterscheidet diese durch gewisse Zeichen, und streut sie über ein weißes Tuch blindlings und auf’s Ungefähr. Alsbald hebt, wenn in Staatssachen Befragung geschehen wird, der Priester der Gemeinde, wenn in häuslichen, bloß das Haupt der Familie, zu den Göttern flehend und gegen den Himmel aufblickend, dreimal ein Stäbchen auf, und deutet die aufgehobenen nach dem vorher eingedrückten Zeichen. Wehrten sie, so ist für denselben Tag über dieselbe Sache keine Befragung mehr; ward aber Statt gegeben, so ist noch Bestärkung durch Götterzeichen erforderlich. Und wirklich ist auch hier jener Brauch bekannt, der Vögel Stimmen und Flug zu befragen: dem Volke eigenthümlich ist, auch der Rosse ahnendes Wittern und Mahnen zu versuchen. Für die Gemeinde [15] werden sie in den nämlichen Wäldern und Hainen genährt, ganz weiß und von keinem irdischen Dienste unrein berührt; sie, mit dem heiligen Wagen beschwert, begleitet der Priester und König oder Häuptling des Staates und beobachtet ihr Wiehern und schnaubendes Knirren. Und keine andere Weissagung hat größeren Glauben nicht bloß bei dem Gemeinvolk, sondern bei den Vornehmen, bei den Priestern, denn sich halten diese für Diener der Götter, jene für deren Wissende. Noch eine andere Beobachtung von Anzeichen gibt es, durch welche sie schwerer Kriege Auslauf erforschen. Einen Gefangenen des Volkes, mit welchem Krieg ist, irgendwie aufgegriffen, bringen sie in den Kampf mit einem Auserlesenen ihrer Landsleute, jeden in den heimischen Waffen. Der Sieg von Diesem oder Jenem wird für Vorentscheidung angenommen.
Ueber kleinere Dinge berathen die Hohen, über größere Alle, doch so, daß auch Dasjenige, dessen Entscheidung beim Volke ist, bei den Hohen durchgearbeitet wird. Die Gemeinde versammelt sich, wenn nicht etwas Unerwartetes und Plötzliches einfällt, zu bestimmten Fristen, da der Mond anfängt oder voll wird; denn zur Behandlung aller Angelegenheiten halten sie dieß für den glückbringendsten Anfang. Uebrigens rechnen sie nicht wie wir die Zahl der Tage, sondern der Nächte; so geben sie Bestimmung, so Zusage; die Nacht scheint dem Tage vorauszugehen. Das ist ein Fehler aus der Freiheit, daß sie nicht auf einmal noch wie auf Befehl zusammen kommen, sondern ein zweiter und dritter Tag durch Säumniß der Zusammentretenden [16] hingeht. Wie es der Masse gefällt, faßt man Platz, in Waffen. Stillschweigen wird durch die Priester geboten, welchen dann auch das Recht der Bestrafung zusteht. Hierauf wird der König oder das Volkshaupt, wie jeweils dessen Alter ist, wie der Adel seines Geschlechtes, wie sein Ruhm aus Kriegen, wie die Wohlredenheit, angehört, mehr mit der Geltung eines Zuspruchs, als durch die Amtsgewalt des Befehlens. Mißfällt der Antrag, so verwerfen sie ihn durch Gemurr; gefällt er aber, dann schlagen sie die geschwungenen Framen zusammen: die geehrteste Art des Beifalls ist, mit den Waffen zu loben.
Es ist gestattet, bei der versammelten Gemeinde auch anzuklagen und Verfolgung auf Leben und Tod zu richten. Die Unterscheidung der Strafen geht nach dem Verbrechen: Verräther und Ueberläufer hängen sie an Bäumen auf, Feiglinge und Kriegsflüchtige und am Körper Geschändete senken sie in Koth und Sumpf, darüber eine Flechte geworfen. Die Verschiedenheit der Todesstrafe zielt dahin, als müsse man die Verbrechen aufzeigen, wenn man sie bestraft, die Schandthaten verbergen. Doch auch bei leichteren Verschulden büßen nach Verhältnis der Strafen die Ueberführten mit einer Anzahl Pferden und Heerdethieren. Ein Theil der Buße wird dem König oder der Gemeinde entrichtet, ein Theil demjenigen selbst, der gesühnt wird, oder seinen Verwandten. In den nämlichen Versammlungen werden auch die Hohen auserwählt, welche durch Gau und Mark das Recht handhaben; Jedem stehen [17] hundert Gefährten aus dem Volke zur Seite, Rath zugleich und Bewährung.
Aber Nichts, weder von Gemeindesachen noch der Einzelnen, thun sie anders als in Waffen. Doch das Waffenführen gestattet Keinem die Sitte früher, als die Gemeinde ihn dafür genügend erkannt. Dann schmückt gerade in der Versammlung des Volkes entweder der Hohen Einer oder der Vater oder nahe Verwandte den jungen Mann mit Schild und Frame. Dieß ist bei ihnen die Toga, dieß die erste Auszeichnung der thatkräftigen Jugend: bis dahin erscheinen sie als Theil des Hauses, nun des Gemeinwesens. Ausgezeichneter Adel des Geschlechtes oder der Väter große Verdienste führen auch zarten Jünglingen die Auszeichnung des Häuptlings zu: den übrigen, mehr erstarkten und schon längst erprobten, werden sie angereiht, und es ist ihnen keine Beschämung, im Gefolge erblickt zu werden. Ja, Rangstufen sogar hat die eigentliche Geleitschaft, durch den Ausspruch Dessen, dem sie folgen; und groß ist nicht bloß der Begleiter Wetteifer, wem der erste Platz an ihres Führers Seite, sondern auch der Führer, wem die meisten und tapfersten Begleiter. Dieß ist Würde, dieß Kraft und Macht, stets von einem großen Haufen auserlesener Krieger umgeben zu sein: im Frieden Zierde, im Kriege Schutz; und nicht bloß beim eigenen Volke, sondern auch bei den nahen Gemeinden bringt das Jedwedem Name, bringt das Ruhm, wenn durch Zahl und Tapferkeit sein Gefolge hervorragt; denn durch Gesandtschaften werden sie dann ernstlich gesucht und mit [18] Geschenken geehrt; und gar oft schlagen sie durch ihren großen Ruf allein die Kriege nieder.
Wann es zur Schlacht kam, ist es schimpflich für den Häuptling, in der Tapferkeit nachzustehen, schimpflich für das Gefolge, der Tapferkeit des Hauptes nicht gleichzukommen. Aber ehrlos gar für das ganze Leben und schmachvoll ist es, seinen Führer überlebend aus dem Kampfe zu kehren. Ihn vertheidigen, ihn schützen, sogar die eigenen Heldenthaten seinem Ruhme zuweisen, ist allererste heilige Pflicht. Die Häuptlinge kämpfen für den Sieg, die Begleiter für den Häuptling. Wenn der Staat, in dem sie geboren, in langem Frieden und Ruhe starret, so ziehen gar Manche der adeligen Jünglinge aus eignem Triebe zu den Stämmen, welche jetzt gerade irgend einen Krieg führen, theils weil der Nation die Ruhe unwillkommen ist, theils weil man unter scharfer Gefahr leichter zu Ruhm gelangt, ein großes Gefolge aber nur durch Gewalt und Krieg halten kann. Denn man verlangt von seines Häuptlings Freigebigkeit jenes kampfmuthige Roß, jene blutige und siegreiche Frame; Schmäuse nämlich, und die reichlichen, wenn gleich schmucklosen Bewirthungen vertreten die Stelle des Soldes. Der Stoff für reiche Güte kommt durch Kriege und Raub. Und man mag nicht so leicht sie dahin stimmen, die Erde zu pflügen oder das Jahr abzuwarten, als den Feind zu fordern und Wunden zu gewinnen; ja, faul im Gegentheil und träge scheint es, mit Schweiß zu erarbeiten, was man mit Blut erreichen kann.
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So oft sie nicht in Kriege ziehen, bringen sie keinen großen Theil der Zeit mit Jagden hin, mehr in Nichtsthun, dem Schlafe ergeben und der Speise: die tapfersten und kampfmuthigsten Alle thun gar nichts, die Sorge für Haus, Hausleben und Feld ist den Weibern, Greisen und allen Unkräftigsten der Hausgenossen überlassen. Sie selbst sind starr unthätig, ein wunderbarer Widerspruch der Natur, da die nämlichen Menschen so sehr die Trägheit lieben und die Ruhe hassen. Es ist Sitte in den Staaten, frei und nach Jedes Kräften den Häuptern entweder an Thieren oder an Früchten beizusteuern, was, als Ehrengabe gern empfangen, zugleich den Bedürfnissen nachhilft. Vornehmliche Freude haben sie an Geschenken aus den Nachbarvölkern, nicht bloß von Einzelnen geschickt, sondern vom Staate: erlesene Pferde, große Waffen, Brustschmuck und Halsketten. Bereits auch das Geldannehmen haben wir sie gelehrt.
Daß von den Völkern der Germanen keine Städte bewohnt werden, ist bekannt genug, ja, daß sie auch von keinen unter sich verbundenen Sitzen wissen wollen. Sie wohnen gesondert und auseinander, wie Quelle, wie Feld, wie Wald gefiel. Die Dörfer legen sie nicht nach unsrer Weise an, durch verbundene und fest zusammenhängende Gebäude: mit einem freien Raume umgibt Jeder sein Haus, entweder als Mittel gegen Feuerunglück oder aus Ungeschicktheit im Bauen. Nicht einmal der Bruchsteine oder [20] Ziegel Verwendung ist bei ihnen: durchweg nehmen sie Holz dazu, formlos, unansehnlich und ungefällig. Einzelne Stellen überstreichen sie recht sorgfältig mit so reiner und glänzender Erde, daß es der Malerei und Farbenzeichnung nahe kommt. Sie pflegen auch unter dem Boden Höhlen zu öffnen und belasten sie mit vielem Mist darüber, Zuflucht für den Winter und Behältniß für die Früchte. Durch Gelasse der Art lindern sie die Strenge der Kälte, und wenn einmal der Feind einbricht, verheert er das Offene, das Versteckte aber und Vergrabene weiß man nicht, oder es entgeht schon darum, weil es zu suchen ist.
Decke ist Allen ein Mantel, mit einer Heftel oder, wenn diese fehlt, mit einem Dorn zusammengeknüpft; im Uebrigen unbedeckt, verbringen sie ganze Tage neben dem Heerde und Feuer. Die Begütertsten unterscheidet ein Leibkleid, nicht bauschig, wie die Sarmaten und Parther es haben, sondern anliegend und jedes einzelne Glied darstellend. Auch Wildpelze tragen sie, die zunächst im Uferland gleichgültig, die weiter im Innern mehr ausgesucht; denn zu ihnen dringt kein Putz durch Handel. Man liest aus unter dem Wild und sprenkelt die abgezogenen Hüllen mit Flecken und mit Fellen von Thieren, die der äußere Ocean zeugt und das unbekannte Meer. Auch die Weiber haben keine andere Tracht, als die Männer, außer daß die Weiber sich öfter in leinene Gewänder hüllen, welche man durch Hochroth bunt macht, und den oberen Theil des Leibkleides nicht in Aermel verlängern, nackt [21] am Unter- und Oberarm; aber auch der nächste Theil der Brust ist blos.
Indessen sind dort die Ehen streng, und gar keinen Theil der Sitten darf man mehr loben. Denn fast nur sie allein unter den Barbaren sind mit Einer Frau zufrieden, ganz wenige ausgenommen, welche nicht der Wollust zuliebe, sondern ob ihres hohen Adels mit gar vielen Heirathen umworben werden. Ehegabe bietet nicht die Frau dem Manne, sondern der Frau der Mann. Gegenwärtig sind dabei die Eltern und Blutsfreunde und prüfen die Geschenke: Geschenke nicht nach Weiber-Tändelei gesucht, noch um damit die Neuvermählte zu putzen, sondern Rinder und ein aufgezäumtes Pferd, dann Schild nebst Frame und Schwert. Auf solche Geschenke nimmt man sein Weib, und ihrerseits bringt auch die Gattin dem Manne etwas Waffen. Dieß, glauben sie, ist das größte Band, dieß die geheime Heiligung, dieß des Ehebundes Götterschutz. Daß sich die Frau nicht außer den Gedanken nach Tugenden wähne, nicht außer den Unfällen der Kriege, wird sie schon durch der beginnenden Ehe eigentliche Weihe erinnert, sie komme als Gefährtin der Mühen und Gefahren, bestimmt das Gleiche im Frieden, das Gleiche in den Schlachten zu tragen und zu wagen. Dieß künden die gejochten Rinder an, dieß das gerüstete Pferd, dieß die gereichten Waffen; so müsse gelebt sein, so gestorben; sie erhalte, was sie ohne Makel und gleich würdig ihren Kindern wiedergeben, was die Schwiegertöchter [22] wiederum empfangen sollen, was auf die Enkel kommen müsse.
Also im sichern Schutze der Keuschheit leben sie, durch keine Schauspiel-Lockungen verdorben, durch keine Reizungen der Gelage; der Schrift Geheimwege kennen Männer und Weiber gleichmäßig nicht. Aeußerst selten ist in dem so zahlreichen Volke der Ehebruch, dessen Bestrafung augenblicklich und dem Manne überlassen ist. Abgeschnittenen Haares und entblößt jagt dieser sie vor den Augen der nahen Verwandten aus dem Hause und treibt sie mit der Peitsche durch das ganze Dorf, denn preisgegebene Scham hat kein Verzeihen: nicht durch Schönheit, nicht durch Jugend, nicht durch Habe findet sie einen Mann. Lacht doch Niemand dort über das Laster, und verführen oder verführt werden, heißt nicht Welt. Besser freilich noch die Staaten, in welchen nur Jungfrauen heirathen, wo Hoffnung und Wunsch der Gattin bloß einmal erledigt wird. Also empfangen sie nur einen Gemahl, wie nur einen Körper und ein Leben, damit kein weiterer Gedanken, daß keine fernere Begierde lebe, daß nicht gleichsam den Ehemann sie lieben, sondern gleichsam den Ehebund. Die Zahl der Kinder beschränken oder gar eines der nachgeborenen tödten, gilt als Schandthat, und mehr vermögen da die guten Sitten, als anderswo gute Gesetze.
In jedem Hause wachsen sie in Blöße und Aermlichkeit zu diesen Gliedern herauf, herauf zu diesen Körpern, [23] die wir bewundern. Jeden nähret die eigene Mutter an der Brust, und nicht den Mägden und Ammen fallen sie anheim. Den Herren oder Knecht vermag man in keiner Tändelei der Erziehung zu unterscheiden: bei den nämlichen Heerden, auf dem nämlichen Boden treiben sie sich, bis den Freien die Jahre scheiden, die Mannhaftigkeit anerkennt. Ganz spät ist der jungen Männer Liebesgenuß und darob unerschöpflich ihre Zeugungskraft. Auch die Jungfrauen werden nicht beeilt: dieselbe Jugendfülle, ähnlich hohe Gestalt; entsprechenden Alters und kraftvoll werden sie Frau: und die Kinder sind der Eltern Ebenbild in Stärke. Die Söhne der Schwester haben beim mütterlichen Oheim die nämliche Achtung wie an der Seite ihres Vaters. Manche halten jenes Band des Blutes für unverletzlicher und enger, und dringen beim Empfang von Geiseln mehr auf solche, überzeugt, daß diese die Stimmung fester und die Familie weiter beherrschen. Erben indeß und Nachfolger sind Jedwedem die eigenen Kinder, und ein Testament gibt es nicht. Fehlen Kinder, so sind die nächste Linie in der Ergreifung des Besitzes die Brüder, Vaterbrüder, Mutterbrüder. Je mehr Verwandte des Blutes, je größer die Zahl der Verschwägerten, desto reicher an Ergebenheit ist das hohe Alter; Kinderlosigkeit hat keinen Preis.
Sowohl die Feindschaften sei es des Vaters, sei es des Blutsverwandten, als wie die Freundschaften auf sich zu nehmen, ist Nöthigung. Jene dauern aber doch nicht unversöhnlich; denn selbst der Mord wird mit einer [24] gewissen Zahl Rinder und andrer Thiere gesühnt, und die gesammte Sippe nimmt die Genugthuung bindend an, zum Frommen für das Allgemeine, weil Feindschaften, wo Freiheit ist, von größerer Gefahr sind. Den geselligen Mahlen und gastlichen Bewirthungen hängt kein anderes Volk ausschweifender nach. Irgend Einem der Sterblichen das Dach wehren, gilt als Frevel; Jeder empfängt ihn mit einem nach der Habe bereiteten Essen. Wenn das ausgeht, ziehen sie, der eben Wirth war nun als Zeiger einer gastlichen Stätte und als Begleiter, zum nächsten Hause ungeladen. Und dieß thut nichts; mit gleicher Freundlichkeit empfängt man sie. Niemand unterscheidet, was das Recht des Fremden betrifft, den Bekannten von dem Unbekannten. Dem Scheidenden, wenn er etwas verlangt, zu willfahren ist Sitte, und auf der andern Seite die nämliche Unbefangenheit im Verlangen. Sie haben ihre Freude an Geschenken; doch rechnen sie die gewährten nicht auf, und binden sich nicht durch die empfangenen. Das ganze Verhalten zwischen Gastfreunden ist gefällig.
Gleich nach dem Schlafe, den sie meist in den Tag hineinziehen, baden sie, häufiger in warmem Wasser, wie ja bei ihnen das Meiste der Winter einnimmt. Nach dem Bade genießen sie Speise; Jeder hat seinen getrennten Sitz und eigenen Tisch. Hierauf schreiten sie zu Geschäften und nicht weniger oft zu Gelagen, in den Waffen. Den Tag und die Nacht durch Saufen zu verhängen, bringt Keinem Schimpf. Die, wie eben unter Trunkenen, häufigen Zwiste werden selten mit Schimpfreden abgethan, [25] häufiger mit Mord und Wunden. Indessen auch über gegenseitige Aussöhnung der Feinde und Schließung von Schwägerschaften, über den Anschluß an Häuptlinge, über Frieden endlich und Krieg berathen sie meist bei Gelagen, wie wenn zu keiner Zeit mehr das Herz für wahre Gedanken sich öffne oder für große erglühe. Dieses Volk, nicht listig und durchtrieben, erschließt annoch die Geheimnisse des Herzens in der Ungebundenheit der Lust. Daher wird der enthüllte und offene Sinn Aller am nächsten Tage noch einmal behandelt. Und beider Zeit Verfahren ist wohlgehalten: sie besprechen, während sie nicht zu heucheln wissen; sie beschließen, während sie nicht irren können.
Als Getränk dient eine Flüssigkeit aus Gerste oder Weizen, in eine gewisse Aehnlichkeit mit Wein umgefälscht; die Nächsten im Uferland erhandeln sich auch Wein. Ihre Speisen sind einfach: Feldobst, frisches Wildfleisch, oder geronnene Milch. Ohne künstliche Zubereitung, ohne Leckereien vertreiben sie den Hunger; gegen den Durst nicht dieselbe Mäßigung. Wenn man der Trunkenheit willfährt und herbeischafft so viel sie gierig wünschen, werden sie nicht weniger leicht dem Laster unterliegen, als unsern Waffen.
Die Art ihrer Schauvergnügung ist nur eine und in jeglicher Lustversammlung die nämliche. Entkleidete Jünglinge, deren Eigen dieß Spielergötzen ist, tummeln sich in Sprüngen unter Schwertern und feindlich drohenden Framen [26] umher. Die Uebung bereitet Kunst, Kunst Schönheit. Nicht zum Erwerb jedoch oder für Lohn: des noch so verwegenen Muthwillens Preis ist das Ergötzen der Schauenden. Das Würfelspiel, man muß sich wundern, üben sie unbetrunken als etwas Ernstes mit solcher Unvernunft für Gewinnen und Verlieren, daß, wenn Alles dahin ist, sie im äußersten und letzten Wurfe die Freiheit und den Körper daran setzen. Der Besiegte tritt in freiwillige Knechtschaft; obgleich jugendkräftiger, obgleich stärker, läßt er geduldig sich binden und verkaufen. So groß ist die Hartnäckigkeit in der fehlerhaften Sache; sie selbst nennen es treue Ehrlichkeit. Sklaven dieses Looses geben sie im Handel weiter, um auch sich vom Schamgefühl des Sieges loszumachen.
Die andern Knechte brauchen sie nicht nach unsrer Art zu Diensten, dem Gesinde der Reihe nach genau angewiesen; Jeder führt seinen Sondersitz, sein Haus und seinen Hof. Der Herr legt ihm ein Gewisses an Frucht oder Vieh oder Kleidungsstoff auf wie einem Pflanzer, und der Knecht ist soweit unterworfen. Die Verrichtungen für das Haus im Uebrigen besorgen Frau und Kinder. Einen Sklaven peitschen und mit Kerker und Strafarbeit züchtigen, ist selten; ihn zu tödten, pflegen sie, doch nicht aus Zucht und Strenge, sondern im Sturm und Zorn, wie einen Feind, nur daß es straflos ist. Die Freigelassenen stehen nicht viel über den Sklaven; ihrer ist selten eine Bedeutung im Hause, niemals im Staate, bloß die Völker ausgenommen, welche in Königsherrschaft stehen, [27] denn dort steigen sie über die Freien, steigen sie über den Adel. Bei den Uebrigen sind die tief gestellten Freigelassenen ein Beweis der Freiheit.
Wucher treiben und ihn über die Zinsen erstrecken, ist unbekannt, und deßhalb mehr gemieden, als wenn es verboten wäre. Die Aecker werden entsprechend der Zahl der Pflanzer zu wechselnder Benutzung von Allen zusammen besetzt, um sie alsbald unter die Einzelnen nach würdigendem Ermessen zu vertheilen. Leichtigkeit des Vertheilens gewahren der Felder weite Flächen. Das Saatland wechselt man alljährlich, und es bleiben Aecker übrig. Denn sie wetteifern nicht mit der Fruchtbarkeit und dem weiten Umfang ihres Bodens durch Müh’ und Arbeit, um Obstpflanzungen anzulegen, Wiesen abzugrenzen und Gärten zu wässern: nur Getreide wird der Erde abverlangt. Daher scheiden sie auch das Jahr selbst nicht in gleich viel Theile: Winter und Frühling und Sommer haben Sinn und Benennung; des Herbstes Namen und Güter sind ihnen gleich unbekannt.
Bei den Leichen kein eitles Gepränge. Nur darauf wird gehalten, daß die Leichname berühmter Männer mit bestimmten Arten Holz verbrannt werden. Die Aufschicht des Scheiterstoßes überhäufen sie nicht mit Gewändern und Wohlgerüchen: Jedem werden seine Waffen mitgegeben, dem Feuer Dieses oder Jenes auch sein Pferd. Das Grabmal erheben Rasen; der Denkmäler steile und arbeitsvolle [28] Ehre verschmähen sie als schwer für die Verlebten. Jammer und Thränen legen sie schnell ab, Schmerz und Betrübniß langsam. Den Weibern ist trauern schön, den Männern eingedenk sein.
Dieß in’s Allgemeine haben wir von aller Germanen Ursprung und Sitten vernommen. Der einzelnen Völker Einrichtungen und Gebräuche, wie weit diese abweichen, welche Stämme aus Germanien nach Gallien übersiedelten, das will ich nun darlegen.
Daß einst der Gallier Sachen stärker waren, sagt der hohe Gewährsmann, nun unter den Göttern, Julius; und darob ist es glaublich, daß auch Gallier nach Germanien hinübergingen. Denn wie wenig stand der Fluß im Weg, daß jedes Volk, wie es zu Kraft gekommen, Sitze nahm und Sitze tauschte, die bis dort herrenlos waren und durch keine Macht der Königsherrschaft abgesondert. Also hatten, was zwischen dem Waldgebirg Hercynia und den Flüssen Rhein und Main liegt, die Helvetier inne, das Jenseitige die Bojer, Beides ein gallisches Volk. Noch dauert der Name Bohem und bezeichnet des Landes uralte Geschichte, obgleich die Bewohner geändert sind. Unsicher ist es dagegen, ob die Aravisker nach Pannonien von den Osen hinwegwanderten, einer Nation unter den Germanen, oder die Osen von den Araviskern hinweg nach Germanien, da sie bis heute die nämliche Sprache, Einrichtungen, Sitten haben: waren doch einst bei gleicher Armuth und Freiheit beider Ufer Güter und Uebel dieselben. Die Treverer und Nervier sind in Behauptung ihres germanischen [29] Ursprungs recht eigentlich eitel, wie wenn sie durch solchen Blutesruhm von der Aehnlichkeit der Gallier und deren Erbärmlichkeit gesondert würden. Unmittelbar am linken Rheinufer wohnen unzweifelhaft germanische Völker, die Vangionen, Triboken, Nemeter. Nicht einmal die Ubier, obgleich sie eine römische Pflanzstadt zu sein erdienten und lieber nach ihres Begründers Namen Agrippiner heißen, erröthen ob ihres Ursprungs, einst herübergekommen und bei Erprobung ihrer Treue knapp über das Ufer des Rheins gesiedelt, auf daß sie wehrten, nicht daß sie bewacht seien.
Unter diesen Völkern allen sind in der Tapferkeit die vornehmsten die Bataver. Nicht viel vom Ufer, sondern die Insel des Rheines bewohnen sie, einst ein Stamm der Chatten und ob eines heimathlichen Zwiespaltes übergetreten in jene Sitze, wo sie ein Theil der römischen Herrschaft werden mußten. Es dauert die Ehre und Auszeichnung der alten Gemeinschaft; denn keine Auflagen entwürdigen sie, kein Zöllner drückt sie aus: von Lasten freigehalten und von Steuern, nur für Verwendung in den Schlachten zur Seite gestellt wie Wehr und Waffen, werden sie zum Kriege aufbewahrt. In dem nämlichen Gehorsam steht auch der Mattiaken Stamm; denn die Größe des römischen Volkes hat über den Rhein und über die alten Marken die Ehrfurcht der Oberherrschaft vorgerückt. So leben sie nach Sitz und Gebiet am eigenen Ufer, nach Geist und Herz bei uns, im Uebrigen den Batavern ähnlich, nur daß sie annoch durch des eigenen Landes Boden selbst und [30] dessen Himmel schärferer Stimmung sind. Nicht zu Germaniens Völkern zähle ich, obgleich jenseits des Rheins und der Donau gesiedelt, Jene, so die Zehntlande bauen. Allerleichteste der Gallier und durch Noth verwegen haben diesen Boden zweifelhaften Besitzes eingenommen. Seit dann der Grenzwall gezogen ward und die Schutzwerke vorgeschoben, gelten sie als ein Vorland des Reichs und als Provinztheil.
Ueber diesen hinaus beginnen die Chatten den Anfang ihrer Sitze von dem Hercynischen Walde her, in nicht so hingebreiteter und sumpfiger Landschaft, wie die übrigen Staaten, in welche Germanien sich öffnet; denn Hügel dauern fort, werden allmälig seltener, und seine Chatten begleitet zugleich der Hercynische Wald und setzt sie ab. Das Volk hat härtere Körper, straffe Glieder, drohende Miene und größere Lebendigkeit des Geistes. Sie haben, für Germanen, viel Berechnung und Geschick: Erlesene an die Spitze stellen, auf die Vorgesetzten hören, Reih’ und Glied halten, die Gunst des Augenblicks erkennen, den Sturm aufschieben, des Tages verfügen, die Nacht umwallend sichern, das Glück unter Zweifelhaftes zählen, die Tapferkeit unter das Sichere, und, was das Seltenste und nur bei Berechnung wahrer Kriegsordnung möglich, mehr auf den Führer geben, als auf das Heer. Ihre ganze Stärke ist im Fußvolk, welches außer den Waffen auch mit Eisengeräth und Mundvorrath belastet wird. Andere sieht, man in’s Treffen ziehen, die Chatten zum Kriege: selten sind Streifzüge und zufälliges Gefecht. Den [31] Reiterstreitkräften allerdings ist das eigen, rasch den Sieg gewinnen, rasch zu weichen; doch steht die Hurtigkeit neben der Furcht, das Zaudern naher bei der Festigkeit.
Was auch andern Völkern der Germanen bei seltener und besonderer Muthigkeit des Einzelnen im Gebrauche ist, das ward den Chatten zur Uebereinstimmung: sobald sie Jünglinge sind, Haupthaar und Bart wachsen zu lassen, und erst, wenn ein Feind erschlagen, die angelobte und der Tapferkeit verpflichtete Kopftracht abzulegen. Ueber Blut und Todesbeute gestellt, lichten sie die Stirne, und dann erst, meint man, haben sie den Lohn für die Geburt entrichtet, würdig des Vaterlandes und der Eltern. Feigen und Unkriegerischen bleibt der Wust. Die Allertapfersten tragen überdieß einen eisernen Ring (weil dieß etwas Schimpfliches ist in des Volkes Augen), gleichsam eine Fessel, bis man sich durch eines Feindes Tödtung davon befreit. Vielen der Chatten gefällt für immer diese Tracht, und selbst grau sind sie also gezeichnet, den Feinden zugleich und den Ihrigen gewiesen. Bei diesen steht der Anfang aller Schlachten; dieß stets das Vordertreffen, erschütternd für den Blick. Denn nicht einmal im Frieden werden sie milderen Antlitzes zahm. Keiner hat Haus oder Feld oder irgend ein Geschäft; wie sie eben zu Andern kommen, werden sie ernährt, reich lebend von Fremdem, des Eigens Verächter, bis greisen Alters Erschöpfung sie für solch’ harte Mannhaftigkeit unfähig macht.
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Zunächst den Chatten wohnen am Rhein, der, in seinem Bette nun schon sicher, Grenzwehr zu sein vermag, die Usipier und Tencterer. Die Tencterer thun sich, über den gewohnten Ruhm der Kriege, durch Kunst der Reiter-Kriegsordnung hervor, und des Fußvolkes Lob bei den Chatten ist nicht größer, als bei den Tencterern das der Reiter. So haben es die Alten eingeführt, die Spätem thun es ihnen nach; das sind der Kinder Spiele, dieß der jungen Männer Wettstreit, als Greise bleiben sie dabei. Neben dem Gesinde, Haus und den Nachfolgerechten werden die Rosse vererbt; es überkommt sie der Sohn, nicht, wie die übrige Erbschaft, der Erstgeborene, sondern welcher eben wildtapfer im Kriege ist und der Tüchtigere.
Neben den Tencterern traten ehemals die Bructerer hervor; nun, sagt man, sind die Chamaven und Angrivarier eingewandert, nachdem die Bructerer geschlagen und durch der Nachbarstämme Zusammenhalten gänzlich ausgerottet wurden, entweder aus Haß ihrer Tyrannei, oder aus Lockung der Beute, oder durch besondere Gunst der Götter gegen uns. Denn nicht einmal den Schaugenuß des Treffens haben diese uns mißgönnt; über 60,000 fielen, nicht den römischen Waffen und Geschossen, sondern, was herrlicher ist, der Ergötzung und den Augen. So bleibe denn, ich bitte, und daure fort bei den Völkern, wenn nicht die Liebe zu uns, doch wenigstens der Haß gegen sich selbst, weil ja in drängendem Geschicke des Reiches [33] das Glück nichts Größeres mehr gewähren kann, als der Feinde Zwiespalt.
Die Angrivarier und Chamaven schließen im Rücken die Dulgibnier und Chasuarier ab und noch andere Stämme, nicht sehr genannt. Auf der Vorderseite reihen sich die Frisier an. Große und kleine Frisier ist ihre Benennung nach dem Maß der Stärke. Beide Nationen ziehen sich bis zum Ocean am Rheine hin, und gehen überdieß um unermeßliche Seen, die auch von römischen Flotten beschifft sind. Haben wir doch den Ocean dort selbst versucht. Und daß noch Herkules-Säulen übrig seien, hat die Sage verbreitet, sei es, daß Herkules wirklich hinkam, sei es, daß wir, was immer aller Orten großartig ist, auf seine Ruhmesherrlichkeit zu rechnen einstimmig sind. Es fehlte keineswegs dem Drusus Germanicus der kühne Muth; doch wehrte sich der Ocean, daß man in ihn zugleich und nach Herkules forsche. Hierauf hat Niemand mehr den Versuch gemacht, und es schien frommer und ehrfurchtvoller, der Götter Walten zu glauben als zu wissen.
Bis hierher gen Westen kennen wir Germanien. Nach Norden läuft es in gar großer Biegung hinaus. Und gleich zuerst lehnt sich der Chauken Volk, obgleich es von den Frisiern beginnt und einen Theil der Küste inne hat, an sämmtlicher bis jetzt erwähnter Völker Seiten, bis es in die Chatten endlich einwärts läuft. Den so ungeheuern Länderraum besitzen die Chauken nicht bloß, sondern füllen [34] ihn auch: unter den Germanen ein edelstes Volk und bestrebt, seine Größe vor Allem durch Gerechtigkeit zu wahren. Frei von Gier, frei von blinder Leidenschaft, ruhig und geschieden, fordern sie keine Kriege heraus, verheeren nicht in Räubereien oder Beutezügen. Das ist ihrer Tüchtigkeit und Kraft vornehmlicher Beweis, daß sie, um als Obere zu walten, nicht durch Ungerechtigkeit erreichen. Doch sind Allen die Waffen bereit, und verlangt es die Lage, ganze Heere, eine Masse Männer und Pferde; und mitten in der Ruhe gleich groß ihr Ruf.
An die Chauken und Chatten grenzend, haben die Cherusker, weil nicht herausgefordert, einen zu großen und morschen Frieden lange genährt; und das war behaglicher, als sicher, weil man zwischen Gewaltigen und Starken fälschlich ruhet: wo mit der Faust entschieden wird, da sind Mäßigung und Tugend des Siegers Ehrennamen. Also werden, einst gut und billig geheißen, die Cherusker nun Erbärmliche und Thoren genannt: den Chatten, ihren Siegern, hat das Glück der Weisheit Namen eingebracht. Von der Cherusker Sturz ebenfalls mitgerissen sind die Fosen, ein Angrenzervolk, der schlimmen Lage in gleichem Maaße Vollgenossen, nachdem sie in des Glückes Tagen die Nachgestellten waren.
In dem nämlichen Auslaufe Germaniens wohnen unmittelbar am Ocean die Cimbern, jetzt ein kleiner Staat, [35] aber an Ruhm gar groß. Es dauern auch des alten Rufes weite Spuren, an beiden Ufern Lager und eingeschlossene Räume, nach deren Umfang man noch jetzt die Masse und die Kriegerschaaren des Volkes berechnen kann und die Glaubwürdigkeit so großer Wanderung. Unsere Stadt lebte das Jahr 640, als zum ersten Male die Waffen der Cimbern gehört wurden, da Cäcilius Metellus und Papirius Carbo Consuln waren, so daß, wenn wir bis zu des Kaisers Trajanus zweitem Consulate rechnen, gerade 210 Jahre zusammen kommen. So lange schon wird Germanien besiegt. Im Verlaufe einer so großen Zeit viele Verluste beiderseits. Nicht der Samnier, nicht die Punier, nicht Spanien oder Gallien, selbst nicht die Parther haben öfter an sich erinnert. Schärfer freilich als Arsaces’ königliche Macht, ist die Freiheit der Germanen. Denn was kann uns anderes als Crassus’ Ermordung das unter Ventidius gebeugte Morgenland vorhalten, das ja ebenso den Pacorus verlor? Die Germanen hingegen, welche den Carbo und Scaurus Aurelius und Servilius Cäpio, auch M. Manlius schlugen oder zu Gefangenen machten, haben fünf consularische Heere dem römischen Volke zugleich, den Varus und unter ihm drei Legionen selbst dem Cäsar entrissen. Und nicht ungebüßt hat Marius sie in Italien, Julius, den Göttern eingereiht, in Gallien, Drusus und Nero und Germanicus in ihren Heimathsitzen selbst erschüttert. Hierauf sind Cajus Cäsars gewaltige Drohungen zum vollen Spott geworden. Dann folgte Ruhe, bis sie, auf Anlaß unseres Zwiespaltes und Bürgerkriegs, der Legionen Standlager erstürmten und selbst nach Gallien griffen; von dort allerdings zurückgedrängt, sind [36] sie in der nächsten Zeit mehr vom Triumph besiegt als in der Schlacht.
Nun muß von den Sueven gesprochen werden, die nicht bloß ein Volk haben, wie z. B. die Chatten und Tencterer. Denn den größten Theil Germaniens behaupten sie, in besondere Nationen und Namen überdieß geschieden, obwohl sie gemeinsam Sueven heißen. Kennzeichen dieses Volkes ist’s, das Haupthaar seitwärts zu richten und in einem Knoten knapp zu unterbinden; so trennen sich die Sueven von den übrigen Germanen, so der Sueven Freie von den Knechten. Was bei den andern Völkern wegen gewisser Verwandtschaft mit den Sueven oder (wie oft eintritt) aus Nachahmung selten ist und auf die Zeit des blühenden Mannesalters eingeschränkt, – bei den Sueven streift man bis zur Grauheit das aufgesträubte Haar zurück und bindet es oft gerade auf der bloßen Scheitel. Die Hohen tragen es auch noch mehr geziert. Dieß ist ihre Sorge für Schönheit, aber für eine unschuldige; denn, nicht um zu lieben oder geliebt zu werden, – zu einer gewissen Hoheit und Schrecklichkeit geputzt schmücken sie, dem Krieg gewidmete Männer, so recht sich für der Feinde Augen.
Als die ältesten und edelsten der Sueven nennen sich die Semnonen. Die Glaubwürdigkeit dieses Alters wird durch ihre Religion bekräftigt. Zu bestimmter Zeit treten alle Stämme desselben Blutes durch Gesandte in einen Wald zusammen, ehrwürdig durch der Vorfahren Heiligung [37] und uralte Gottesfurcht; dann wird in des Ganzen Namen ein Mensch geopfert, und so barbarischen Dienstes schauerlicher Uranfang gefeiert. Dieser Hain hat auch noch eine andere heilige Scheu: Niemand tritt in ihn, außer mit einer Fessel gebunden, als Unterwürfiger und offen die Macht der Gottheit bekennend. Fällt er etwa, so ist aufgehoben werden und aufstehen unerlaubt: über den Boden hin schieben sie sich hinaus. Und dieser ganze Dienst geht darauf, daß nach ihrem Glauben von hier aus des Volkes Ursprung komme, hier ihr Gott, der Herrscher-König Aller, sei, das Uebrige unterthan und dienstbar. Ansehen gibt weiter der Semnonen ganze Lage: in hundert Gauen wohnen sie und durch die Größe solcher Körperschaft wird bewirkt, daß sie sich als das Haupt der Sueven glauben.
Die Langobarden dagegen adelt ihre kleine Zahl: von recht vielen und gar starken Nationen umschlossen, sind sie nicht durch Unterwürfigkeit geschützt, sondern durch Schlachten und durch das Bestehen der Gefahren. Die Reudigner hierauf, und die Avionen, die Anglier und Variner, die Eudosen, Suardonen und Nuitonen sind durch Flüsse und Wälder verwahrt. Nichts ist bemerkenswerth an all’ den Einzelnen, als daß sie vereint die Nerthus verehren, d. i. die Mutter Erde, des Glaubens, daß diese eingreife in der Menschen Leben und in der Völker Mitte fahre. Es ist auf einer Insel im Ocean ein heiligreiner Hain und in demselben ein geweihter, mit einem Gewand bedeckter Wagen, zu berühren nur dem Priester gestattet. Dieser weiß genau, wenn die Göttin im Heiligthum gegenwärtig [38] ist, und begleitet sie, von weiblichen Rindern gezogen, mit tiefer Verehrung. Freudenvoll sind dann die Tage, festlich all’ die Orte, welche die Göttin ihres Besuches und Eintretens würdigt; keine Kriege beginnen sie, keine Waffen ergreifen sie; verschlossen ist jedes Eisen; Friede und Ruhe sind dann allein bekannt, sind dann allein geliebt, bis die des Umgangs mit den Sterblichen satte Göttin der nämliche Priester dem Heiligthume zurückgibt. Hierauf wird der Wagen nebst den Gewändern, und, wenn man glauben will, das Gotteswesen selbst in geheimem Teiche gebadet. Sklaven sind da die Diener, welche sogleich der nämliche See verschlingt. Daher geheimnißvoller Schauer und heiligfromme Unwissenheit, was jenes Wesen sei, das nur dem Untergang Geweihte sehen.
Und dieser Theil nun von den Sueven läuft in Germaniens entlegeneres Innere. Naher ist (damit ich, wie kurz vorher dem Rhein, so nun der Donau folge) der Hermunduren Staat, den Römern treu ergeben. Und darum haben sie allein unter den Germanen nicht bloß am Ufer Handelsverkehr, sondern ganz im Innern und in der prachtvollen Römerstadt der Provinz Rhätien: aller Orten gehen sie zu uns herüber und ohne Wächter. Während wir also den übrigen Völkern nur die Waffen zeigen und unsere Lager, öffneten wir diesen die Paläste und Landhäuser, ohne ihr besonderes Begehren. Bei den Hermunduren entspringt die Elbe, einst ein vielgenannter Strom und wohl bekannt; jetzt nur noch gehört.
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Neben den Hermunduren wohnen die Naristen, weiter die Markomannen und Quaden. Hervorragend ist der Markomannen Ruhm und Stärke, denn auch selbst ihr Sitz ward, da sie die Bojer dort vertrieben, durch Tapferkeit erworben. Doch auch die Naristen und Quaden sind nicht entartet. Und das nun ist gleichsam Germaniens Stirne, soweit sie durch die Donau vollzogen wird. Den Markomannen und Quaden verblieben bis in unsere Zeit Könige aus heimischem Stamme, Maroboduus’ und Tuders edles Geschlecht; jetzt dulden sie auch fremde. Doch Gewalt und Macht kommt diesen Königen durch römisches Ansehen; selten werden sie mit unsern Waffen unterstützt, häufiger durch unser Geld, und sind deßhalb nicht schwächer.
Weiter zurück schließen den Rücken der Markomannen und Quaden die Marsigner und Buren, in Sprache und im ganzen Leben das wahre Bild der Sueven. Die Cotiner überweiset die gallische Sprache, die Osen die pannonische, daß sie nicht Germanen sind, und weil sie Auflagen dulden. Den einen Theil der Abgaben legen die Sarmaten auf, den andern Theil die Quaden als Leuten fremden Ursprungs. Die Cotiner, zur desto größeren Scham, graben auch nach Eisen. Alle diese Völker haben wenig flaches Land, sonst nur Rauhwälder inne und Gipfel und Höhen der Berge. Denn es trennt und zerreißt Suevien, ein fortlaufender Zug von Bergen, auf dessen anderer Seite gar viele Völker Hausen, unter denen am [40] weitesten der Lugier Namen reicht, in mehr Staaten weit geschieden. Als die mächtigsten genüge es zu nennen die Harier, Helväonen, Manimer, Elysier, Nahanarvalen. Bei den Nahanarvalen zeigt man einen Hain uralter Gottverehrung. Ihr steht ein Priester vor in geschmückter Weibertracht, doch nennt man als die Götter, römisch aufgefaßt, Castor und Pollux: dieß das Wesen der Gottheit, ihr Name Alcen. Keine Bilder, keine Spur fremden Dienstes; doch als Brüder, als Jünglinge gedacht verehrt man sie. Die Harier ferner, außer den Kräften, in welchen sie den eben genannten Völkern vorgehen, finstern Wesens, steigern die inwohnende Wildheit noch durch Kunst und Zeit: schwarze Schilde, gefärbte Leiber; für die Schlachten wählt man dunkle Nächte, und schon durch die Schauerlichkeit und das Schattenwesen solchen Heeres wie aus dem Todtenreiche flößen sie Schrecken ein, daß keiner der Feinde den schauerlichen und gleichsam höllischen Anblick aushält; denn zuerst werden in allen Schlachten die Augen besiegt. – Den Lugiern nördlich werden die Gothonen bereits straffer von Königen beherrscht, als die andern Völker der Germanen, doch noch nicht über die Freiheit. Unmittelbar hierauf folgen vom Ocean her die Rugier und Lemovier. All’ dieser Völker Kennzeichen sind runde Schilde, kleine Schwerter, und Gehorsam gegen Könige.
Hierauf der Suionen Staaten, für sich im Ocean, nebst Mannschaft und Waffen durch Flotten mächtig. Die Gestalt ihrer Schiffe ist dadurch eigen, daß ein Vordertheil [41] an beiden Enden die zur Landung stets bereite Stirne bietet. Sie werden nicht mit Segeln bedient und haben ihre Ruder nicht in einer Reihe den Norden angefügt: ein loses Ruderwerk, wie auf manchen Flüssen, und nach Erforderniß von beiden Seiten wechselbar. Bei ihnen hat auch das Vermögen Ehre, und darum ist nur Einer Herr, mit durchaus keinen Ausnahmen, bei unwiderruflichem Rechte auf Gehorsam, Auch sind die Waffen nicht, wie bei den andern Germanen, in Jedes Hand, sondern verschlossen unter einem Wächter und zwar einem Sklaven, weil plötzlichen Einbruch des Feindes der Ocean wehrt, ruhende Hände der Bewaffneten überdieß leicht ausgelassen sind. Und in der That, weder Adelige noch Freigeborene noch Freigelassene über die Waffen zu setzen, ist eines Königs vortheilhafte Rechnung.
Ueber die Suionen hinaus ist ein anderes Meer, träge und fast bewegungslos, welches den Erdkreis umgibt und umschließt, wie daraus glaubwürdig ist, daß dort der letzte Glanz der eben sinkenden Sonne bis zum Aufgang anhält, so hell, daß er die Sterne bleicht. Daß überdieß ein Schall der emportauchenden gehört, Göttergestalten und ein Strahlenhaupt erblickt werden, fügt der feste Glaube bei. Bis dorthin nur (und wahr ist die Sage) reicht die Natur. – Weiter nun werden an der rechten Küste des Suevenmeeres der Aestier Völkerschaften bespült, deren Gebräuche und ganzes Aeußere wie der Sueven sind, die Sprache näher der britannischen. Sie verehren die Göttermutter. Als Abzeichen dieses Glaubens tragen sie Eberbilder; [42] dieß, statt Waffen und Schutz von Allen, stellt den Anbeter der Göttin auch mitten unter Feinden sorglos sicher. Selten ist des Eisens, häufig der Knüttel Gebrauch. Getreide und die andern Feldfrüchte bauen sie mit einer für die gewohnte Trägheit der Germanen großen Geduld. Indessen auch das Meer durchsuchen sie und sammeln, unter allen die Einzigen, zwischen Untiefen und am Strande selbst, den Bernstein, bei ihnen Gläsum genannt. Doch was dessen Natur sei oder welcher Art er entstehe, das haben sie als Barbaren nicht untersucht oder ergründet; lange sogar lag er unter dem andern Auswurf des Meeres, bis unsre Prachtsucht ihm Berühmtheit gab. Bei ihnen ist er in keinem Verbrauch: roh wird er aufgelesen, formlos zugebracht, und staunend empfangen sie den Preis. Daß er aber der Saft von Bäumen ist, mag man daraus klar ersehen, weil Erde- und selbst Flügelthiere gar oft durchscheinen, die, von der Feuchtigkeit umwickelt, hierauf, wenn der Stoff sich härtet, eingeschlossen werden. Recht gesegnete Wälder und Haine, glaub’ ich also, müssen, wie im Innern des Morgenlandes, wo der Weihrauch und Balsam ausschwitzt, ebenso in den Inseln und Ländern des Westens sein, wo solche Stoffe durch der Nachbar-Sonne Strahlen ausgeschieden und flüssig in das ganz nahe Meer gleiten und durch der Stürme Gewalt an den Gegenstrand ausfluthen. Prüft man des Bernsteins Natur durch nahe gebrachtes Feuer, so entzündet er sich wie der Kien und nähret eine fette, riechende Flamme; hierauf wird er zäh wie zu Pech oder Harz. – Der Suionen Fortsetzung sind die Stämme der Sitonen; im Uebrigen ähnlich, unterscheiden sie sich nur durch das Eine, daß da ein Weib [43] Herr ist; bis so weit sind sie nicht bloß von der Freiheit, sondern auch von der Knechtschaft abgeartet. Hier ist Suevenlandes Ende.
Ob ich die Nationen der Peuciner, der Veneden und der Fennen den Germanen zuzählen soll oder den Sarmaten, entscheid’ ich nicht.
Die Peuciner allerdings, von Manchen Bastarner genannt, haben Sprache, Leben, Wohnsitze und Häuser, wie die Germanen: unreine Aermlichkeit beherrscht die Masse, starre Faulheit die Hohen. Durch der Wechselheirathen Vermengung sind sie annähernd zur Beschaffenheit der Sarmaten häßlich, die Veneden haben viel von deren Sitten an sich. Denn was an Wald und Berg zwischen den Peucinern und Fennen sich erhebt, das durchschweifen sie als Räuber. Diese zählt man indessen besser noch zu den Germanen, weil sie feste Häuser haben, Schilde tragen, und sich des Gebrauches und der Behendigkeit der Füße freuen, was Alles ganz anders bei den Sarmaten ist, die auf dem Wagen und dem Pferde leben. Bei den Fennen herrscht unglaubliche Wildheit, widerliche Armuth: keine Waffen, keine Pferde, kein Haus; zum Essen Kräuter, zur Kleidung Felle, zum Lager der Boden. Ihre einzige Hoffnung ist in den Pfeilen, die sie, des Eisens baar, aus Knochen bespitzen. Die nämliche Jagd nährt gleichmäßig Mann und Frau; denn die Weiber gehen gewöhnlich mit und nehmen ihren Theil der Beute. Die jungen Kinder haben gegen Wild und Regen keine andere Zuflucht, als daß man sie in irgend einer Aeste-Verschlingung birgt; dahin [44] kehren die rüstigen Männer, dieß ist der Greisen Aufenthalt. Dennoch dünkt ihnen dieß ein seligeres Leben, als auf Aeckern seufzen, in Häusern Mühe haben, und eigenes wie fremdes Gut in Furcht und Hoffnung betreiben. Ohne Sorge gegen Menschen, gegen Götter ohne Sorge, haben sie das schwerste Ziel erreicht, daß ihnen nicht einmal des Wunsches Bedürfniß ward. – Alles Weitere von da ist ganz märchenhaft: so, daß Hellusier und Oxionen Kopf und Gesicht der Menschen haben, den Leib aber und die Glieder von wilden Thieren; was ich, als nicht ergründet, verzichtend in das Unentschiedene stelle.
Wichtiger Hinweis zur Germania
Die hier zu Grunde liegende Germania des Tacitus ist in altdeutscher Sprache formuliert, die heute keine Gültigkeit in der deutschen Rechtschreibung mehr hat.
Germanologie
Fußnoten
- ↑ Außer kleineren Arbeiten sind es folgende:
1. Urdeutsche Staatsalterthümer zur schützenden Erläuterung der Germania des Tacitus, 1873.
2. Ausführliche Erläuterung des allgemeinen Theiles der Germania des Tacitus, 1875.
3. Cornelii Taciti Germania, in neuer kritischer Feststellung der Urschrift mit vollständiger Erklärung besonders für Studirende, 1876.
Und in Bälde wird erscheinen:
4. Ausführliche Erläuterung des besondern völkerschaftlichen Theiles der Germania, 1876. Obgleich dieses Buch noch nicht gedruckt ist, so sind doch dessen Ergebnisse in vorliegender Übersetzung bereits verwerthet.