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Die Germanisch-Römischen Kriege bezeichnen eine Reihe von militärischen Konflikten zwischen der Römischen Republik beziehungsweise dem Römischen Reich und verschiedenen germanischen Stämmen. Diese Auseinandersetzungen erstreckten sich über mehrere Jahrhunderte, beginnend im späten 2. Jahrhundert v. Chr. bis zur endgültigen Auflösung des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. Sie prägten die Beziehungen zwischen Römern und Germanen und hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die politische und kulturelle Entwicklung Europas …

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Europagedanke, Bezeichnung für eine Vielzahl von auf den europäischen Lebens- und Kulturraum bezogenen Leitideen und politischen Ordnungsmodellen.

Der Begriff und seine Geschichte[]

Der geografische Name Europa: Der Name Europa war in der griechischenÜberlieferung von Anfang an präsent; er bezeichnete zunächst, in einem Götterhymnus des 7.  Jahrhunderts v. Chr., das mittlere und nördliche Griechenland, insbesondere das Gebiet, das der heutigen europäischenTürkei entspricht. Zwar umfasste er bald – so bei Hekataios und Herodot (6.–5. Jahrhundert v. Chr.) – den ganzen Erdteil, in Opposition zu Asien und Libyen (Afrika); hierbei blieb jedoch der Bosporus die einzige eindeutige Grenzscheide gegenüber Asien. Dies hängt damit zusammen, dass Europa eigentlich gar kein geografisch streng abgeteilter Erdteil ist, sondern lediglich der reich gegliederte Küstensaum des asiatischen Kontinents; erst die herausragenden kulturellen Errungenschaften der Bewohner haben es dazu gemacht.

Europa als Bezug für die Geschichtsschreibung: Das Geschichtsbuch des Christoph Cellarius, erschienen 1685–96, trägt den Titel »Historia universalis, in antiquam, medii aevi et novam divisa« (»Weltgeschichte, eingeteilt in die des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit«). Diese Periodisierung löste ältere Zeitalterschemata, insbesondere die Lehre von den vier Weltreichen Babylon – Persien – Makedonien – Rom, ab; mit ihr setzte sich endgültig eine von biblischen Vorgaben freie Geschichtsbetrachtung durch. Sie war, obwohl sie beanspruchte, Weltgeschichte zu gliedern, eurozentrisch, d. h., sie suchte zuallererst die Geschichte Europas darzustellen, und zwar unter Einbeziehung der Antike. Eine neuere Auffassung lässt »Europa« aus den Wirren der Völkerwanderungszeit (5.–7. Jahrhundert) hervorgehen; für sie legte erst das Frankenreich, mit dem sich der kulturelle Schwerpunkt vom Mittelmeer in die Regionen westlich und östlich des Rheins verlagerte, die Fundamente für die Geschichte.

Die Geschichtswissenschaft kann sich für beide Verwendungsweisen des Europabegriffs auf gute Argumente berufen. Das moderne Bild von Europa, das die Europapolitik der Gegenwart zwingend festlegt (Leitwort: »Vielheit in der Einheit«), hat keine antiken Wurzeln, es gründet sich auf eine Wirklichkeit, die erst im Übergang zur Neuzeit entstanden ist. Geschichtsdarstellungen, die die aktuelle Europadebatte begleiten wollen, greifen daher nicht fehl, wenn sie sich eines zeitlich eingeschränkten Europabegriffs bedienen. Andererseits wäre es absurd, auf die Antike als die Basis der europäischen Geschichte zu verzichten. Deren letzte Phase, die Spätantike, enthielt bereits sämtliche Hauptkomponenten der europäischen Kultur: die griechischen Wissenschaften und Künste, den römischen Staatsgedanken, die christliche Religion. Werke, die sich z. B. mit der Entstehung der attischen Demokratie oder der römischen Republik befassen, können daher ebenso zur Differenzierung der aktuellen Europadebatte beitragen wie die Analysen von Europas Entstehung im frühen Mittelalter.

Europa als Gegenstand der Reflexion: Das Thema Europa ist ein Stück Begriffs- und Ideengeschichte, nicht aber, wie manchmal irrtümlich angenommen wird, Rekonstruktion der Sache Europa selbst. Folglich geht es hier nicht um die Geschichte und Kultur Europas, nicht um die Staatsmänner, Philosophen, Künstler und Dichter, die sich in Europa hervorgetan haben, und nicht um die Reihe von Epochen, an der alle europäischen Völker bis in die Gegenwart teilhatten. Es geht vielmehr lediglich um Reflexe dieser Sache, darum, wie sich das Auf und Ab der europäischen Geschichte, wie sich die Erfolge und Niederlagen, Leistungen und Schandtaten der Europäer in deren Köpfen spiegelten; es geht um die Vorstellungen, die Urteile und Wünsche, die die Europäer jeweils mit dem Namen ihres Lebens- und Kulturraumes verknüpft haben. Das Hochmittelalter z. B. ist in dieser Hinsicht unergiebig: Die Europäer haben damals andere Leitideen verwendet, wie Christenheit, Kirche oder Rom, um das ihnen Gemeinsame zu benennen.

Der begriffsgeschichtliche Aspekt verlangt außerdem, dass sich die jeweiligen Zeugnisse tatsächlich auf die Kategorie Europa berufen. Auch in dieser Hinsicht trifft man auf Irrtümer und Fehldeutungen: Aus moderner Sicht wird für die Geschichte des neuzeitlichen Europas vereinnahmt, was in Wahrheit noch den universalen Mächten des Mittelalters verhaftet ist. Andererseits wäre es verfehlt, Autoren nur deshalb zu ignorieren, weil in ihren offensichtlich auf ein anderes, besseres Europa zielenden Ausführungen der Name Europa nicht vorkommt. Dies gilt z. B. für den französischen Publizisten P. Dubois: Seine Schrift »De recuperatione terre sancte« (»Die Wiedergewinnung des Heiligen Landes«, um 1306) forderte ein System gleichberechtigter europäischer Nationalstaaten, ohne Europa als das Ganze, das geordnet werden soll, zu nennen. Auch der von dem böhmischen König Georg von  Podiebrad geplante Fürstenbund war  – als gegen die Türken gerichtet – der Sache nach »europäisch«, wenn auch nicht in der Terminologie.

Europa-Entwürfe: Der Begriff Europagedanke ist verschiedener Bestimmungen fähig. Man kann jede Art von reflektierender Stellungnahme zur europäischen Wirklichkeit darin einbeziehen; man kann sich jedoch auch auf solche Verlautbarungen beschränken, die programmatische Entwürfe enthalten, indem sie ihre Kritik in bestimmte Änderungsvorschläge münden lassen. Die erstgenannten Manifestationen des Europagedankens haben im Wesentlichen deklaratorischen Charakter; sie zielen auf die Bestätigung der je gegebenen Verhältnisse und wollen daran festgehalten wissen, sie sind deskriptiv oder neigen dazu, die Wirklichkeit idealisierend zu erhöhen. Die letztgenannten Europabekundungen hingegen sind präskriptiv; sie empfehlen oder fordern einen erst noch herzustellenden Soll-Zustand.

Diese beiden Tendenzen lassen sich meist nicht genau voneinander trennen. Im Ganzen aber hat wohl zu gelten, dass in den antiken und frühmittelalterlichen Zeugnissen der bestätigende Charakter vorherrscht: konkrete Gegebenheiten (Völker, Personen, Ereignisse) erweisen sich als signifikant für ganz Europa, für das, was der jeweils Urteilende als europäisch ansieht. Erst die Europa-Modelle, die seit dem späten Mittelalter ersonnen worden sind, enthalten, von negativen Erfahrungen der Gegenwart ausgehend, Maximen oder Programme, die bessere  – meist: konfliktärmere – Verhältnisse herbeiführen sollen. Die deskriptive Europa-Topik, d. h. die Berufung auf angebliche oder wirkliche Elemente der europäischen Tradition, hat dann die Funktion eines unterstützenden Arguments.

Antike Ansätze zu einem politisch-kulturellen Europabegriff[]

Der griechische Siedlungsraum und zumal das Römische Reich hatten das Mittelmeer zum Zentrum, und dem entsprach, dass in der Antike meist nicht Europa, sondern andere Begriffe zur Bezeichnung der je eigenen Gebiete verwendet wurden. Die Griechen, die nicht durch einen Staat, sondern allein durch ihre Kultur miteinander verbunden waren, bevorzugten eine personale Antithese, wenn sie sich von ihren Umwohnern abgrenzen wollten: Sie bezeichneten sich selber als Hellenen und alle Fremden gleich welcher Herkunft als Barbaren, mit einem Ausdruck, der durchaus nicht immer den heute üblichen herabsetzenden Nebensinn hatte. Die Römer pflegten sich in ihrer politischen Sprache einer Reihe von Begriffen zu bedienen, die ihre Herrschaft als ein System konzentrischer Ringe vor Augen führten: Rom – Italien – mare nostrum (»unser«, d. h. das Mittelmeer) – orbis terrarum (»der Erdkreis«); mit der zuletzt genannten Formel reichte der römische Herrschaftsanspruch weit über die damals bekannte Welt hinaus. Immerhin kam es gelegentlich zu Verwendungen des Begriffs Europa, die über das rein Geografische hinausgingen, worin sich ein Anspruch, eine Leitidee zu erkennen gab; diese Ansätze eines Europas wurden in der Neuzeit aufgegriffen und fortentwickelt.

Dies gilt weniger für die ersten, ganz für sich stehenden Zeugnisse im Geschichtswerk des Herodot: Dort erscheinen Asien und Europa als feindlich einander gegenüberstehende Machtblöcke und Europa als Ziel persischer Expansion  – dieser Europagedanke formuliert lediglich fremde Herrschaftsansprüche. Ebenfalls auf dem Gegensatz Asien  – Europa beruht die griechische Theorie der im »Corpus Hippocraticum« erhaltenen Schrift »Über Lüfte, Gewässer und Örtlichkeiten« (5. Jahrhundert v. Chr.): Sie sucht gewisse physische und psychische Unterschiede bei den Bewohnern aus den jeweiligen klimatischen Bedingungen abzuleiten. Die späteren Berufungen auf den Kontrast sind von beiläufiger Art. Aristoteles erklärt die Unterschiede zwischen den Europäern und Asiaten schlechtweg für anlagebedingt. Isokrates greift das von Herodot bezeugte Blockdenken auf, jedoch in entgegengesetzter Stoßrichtung: Die Griechen sollten sich das Perserreich botmäßig machen. Mit der Verwirklichung dieses Programms durch Alexander den  Großen entstand eine griechisch-orientalische Ökumene, ein Kosmopolitentum, dem an europäischen Besonderheiten nichts mehr gelegen war.

Mit den bis zum Atlantik vordringenden Eroberungen Roms, zumal der Galliens durch Caesar, verlagerte sich der Schwerpunkt Europas nach Westen und Norden. Reflexe in der Literatur folgten auf dem Fuße. Der Geograf Strabo würdigte nicht nur die Griechen, sondern auch die Makedonen und Römer als Baumeister Europas. Das astrologische Lehrgedicht seines Zeitgenossen Manilius enthält einige hymnische Verse über Europa, die außer den griechischen Staaten und Rom auch Germanien, Gallien und Spanien nennen und somit als Vorboten eines europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls aufgefasst werden können. Der Europagedanke des frühen Mittelalters

Die Übergangszeit zum Mittelalter hatte eine Gemeinschaft christianisierter Völker hinterlassen, deren Lebensraum teils innerhalb, teils außerhalb der Grenzen des einstigen Weströmischen Reiches lag; diese Metamorphose der Kulturwelt rief eine erste Kette innerlich miteinander zusammenhängender Bekenntnisse zu Europa hervor. Im 6.–9. Jahrhundert lassen sich hierbei drei Erscheinungsweisen unterscheiden: erstens ein Europabewusstsein oder -gemeinschaftsgefühl, das sich punktuell, bei schwerer Gefährdung von außen, geltend machte; zweitens Ansätze zu einem kirchlichen Europa (Europa = ecclesia) und drittens der politische Europagedanke des karolingischen Reiches (Europa = regnum, imperium).

Die frühesten Beispiele für eine emotional gefärbte Verwendung des Europanamens sind – als Ausdruck für eine Leidensgemeinschaft – aus dem Chaos der Völkerwanderungszeit hervorgegangen: Da die Invasionen zunächst nicht nur das Westreich, sondern auch den Balkan heimsuchten, konnte man für das Katastrophengebiet, wenn man es mit einem Wort umgreifen wollte, keinen passenderen Ausdruck wählen als Europa. Der Hunne Attila, berichtet ein Chronist des 6.  Jahrhunderts, habe fast ganz Europa dem Erdboden gleichgemacht; ganz Europa, sekundierte Papst Gregor der  Große, sei dem Machtwort der Barbaren ausgeliefert. Aus der Leidens- wurde mit dem Erstarken des Karolingerreiches eine Kampfes- und Siegesgemeinschaft: Die Europäer, heißt es bei einem anonymen Chronisten nach dem Waffenerfolg über die Araber (732, bei Tours und Poitiers), seien frohgemut in ihre Vaterländer zurückgekehrt.

Zu Ansätzen eines kirchlichen Europas wagten sich an erster Stelle die Hagiografen vor: Sie bedurften eines Parameters heiligmäßigen Lebens – von der gottbegeisterten Predigt des Bonifatius, verlautet demgemäß, habe man fast überall in Europa gesprochen. Andere Äußerungen bedienten sich der Bezeichnung Europa, um die besondere Rolle des Bischofs von Rom hervorzuheben. Sie blieben jedoch vereinzelt; die Kurie zumal bevorzugte aus der Antike überkommene Formeln wie »orbis terrarum«.

Diese tastenden Versuche wurden überboten und gewissermaßen absorbiert von der karolingischen Europaidee, einer Idee, die Staat und Kirche umfasste und beides in den Dienst der christlichen Heilslehre stellte. Sie war eng mit der Person Karls des  Großen verknüpft; die üppig sprießende Panegyrik feierte den Herrscher als »Leuchtturm« oder »Gipfel Europas«. Die Reichsteilungen nach dem Tode Ludwigs des Frommen (840) verwiesen den karolingischen Europagedanken in die Vergangenheit. Die Bedeutung des Fränkischen Reiches und seines Anspruchs, Europa zu repräsentieren, wird in der Forschung der Gegenwart verschieden eingeschätzt. Man verwies auf Byzanz und die großen Gebiete Europas, die nicht zum Reich gehörten; erst dessen Untergang habe die aus einer Vielfalt von Völkern und Staaten bestehende Einheit Europas ermöglicht. Diese These setzt den neuzeitlichen Europagedanken absolut; sie verkennt, dass die monistische Europaidee der Karolinger Einheit nicht spiegeln, sondern überhaupt erst herstellen sollte: über ein buntes Gemisch von Sprachen und Rechtsordnungen hinweg.

Der neuzeitliche Europagedanke bis zur Aufklärung[]

Vorläufer des neuzeitlichen Europagedankens: Mit den Teilungen des Frankenreiches verlor der frühmittelalterliche Europagedanke sein Fundament. Es folgten Jahrhunderte, in denen die Europäer keinen Anlass sahen, eine räumliche Größe zur allgemein verbindlichen Rahmenbedingung ihres Zusammenlebens zu deklarieren; stattdessen verwiesen Abstrakta, die universalen Institutionen »Kirche« und »Reich« sowie Religion – »Christenheit«–, auf die postulierte Einheit jenseits der realen Mannigfaltigkeit. Als Prüfstein können die Kreuzzüge dienen: keine zweite Erscheinung des hohen Mittelalters war gleichermaßen geeignet, an die Zusammengehörigkeit der Europäer zu appellieren; gleichwohl enthält sich die einschlägige Literatur durchweg, von Europa zu sprechen. Offenbar hatte die enge Verbindung mit dem Frankenreich den Namen in Misskredit gebracht; es bedurfte eines zeitlichen Abstandes, damit er wieder, nun in einem anderen Sinne, verwendbar würde.

Im 13.  Jahrhundert, mit dem Beginn des Niedergangs der universalen Mächte Kaisertum und Papsttum, trat das Mittelalter in eine Dauerkrise ein, die schließlich zu einem gänzlich anderen Europa, dem der Territorialherren und Nationalstaaten, führte. Mit der Katastrophe der Staufer wurde die Krise manifest, und eine rege Publizistik forderte die Wiederherstellung der kaiserlichen Universalmonarchie. Einige dieser im Wesentlichen rückwärtsgewandten Traktate enthalten neue, das künftige Europabild vorbereitende Gedanken. So forderte Dantes Schrift »De monarchia« (um 1310) die Trennung von Kirche und Reich: Der Papst solle die Menschheit zum ewigen Leben führen, während es dem Kaiser obliege, der Verwirklichung des zeitlichen Glücks zu dienen. Zu einem weit kühneren Projekt verstand sich um dieselbe Zeit der schon genannte Franzose Dubois: Er ließ nur noch die Kirche als übernationale Institution monarchischen Gepräges gelten, während das Reich durch einen Staatenverein ersetzt werden sollte, der in einer Art Konzil die weltlichen Geschicke der Mitglieder lenke.

Der Kölner Kanonikus Alexander von  Roes endlich unterschied in seinen Schriften drei Funktionen des öffentlichen Lebens, das Priesteramt (»sacerdotium«), das Herrscheramt (»regnum«) und die Pflege der Wissenschaften (»studium«), und verteilte sie in der Weise auf die drei Hauptnationen, dass den Italienern das »sacerdotium«, den Deutschen das »regnum« und den Franzosen das »studium« zukäme. Dieser übernationale Geschäftsverteilungsplan rechnete zum ersten Male mit einer Mehrheit von Nationen, und er wählte sogar für das die Vielheit zur Einheit zusammenfügende Prinzip die damals unzeitgemäße Bezeichnung Europa – so verfährt jedenfalls die jüngere der beiden Abhandlungen, die »Noticia seculi« (»Übersicht über den Weltlauf«, 1288).

Die Grundlegung des modernen Europagedankens im Zeitalter der Türkenkriege: Bedrohungen von außen fördern bei den Bedrohten im Allgemeinen Bekenntnisse zur Solidarität; so rief ein epochales Ereignis, die Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453), mit einem Schlag den neuzeitlichen Europagedanken ins Leben. Hiermit wurde der Bosporus zum zweiten Male (wie knapp zweitausend Jahre zuvor, im Zeitalter der Perserkriege) zur europäischen Schicksalsgrenze. Der Mann, der den neuen Europagedanken hervorbrachte und in seinen Schriften propagierte, war Enea Silvio Piccolomini, als Papst Pius II. Da er sich nicht nur dem Christentum, sondern als Humanist auch dem antiken Erbe verpflichtet glaubte, das durch die türkische Expansion in besonderem Maße gefährdet schien, wählte er mit »Europa« einen Begriff, der beides umfasste. In drei Schriften des als Publizist überaus erfolgreichen Enea Silvio findet sich die Bezeichnung Europa an exponierter Stelle. Am Anfang der Rede, die der damalige Bischof 1454 auf dem Frankfurter Türkentage hielt, wird die Schande gerügt, die der Christenheit dadurch widerfuhr, dass sie in ihrem eigenen Hause, in Europa, heimgesucht worden sei. Mit derselben Gleichsetzung von Christenheit und Europa beginnt auch die geografisch-ethnografische Schrift »Europa«, und die Türkenkreuzzugsbulle (1463) endet mit dem Wunsch, dass nach der Rückeroberung Griechenlands wieder in ganz Europa das Lob Gottes erschallen möge.

Eneas' publizistisches Œuvre enthält zwei in die Zukunft weisende Grundgedanken: den Aspekt der europäischen Völkervielfalt und den einer allen diesen Völkern gemeinsamen kulturellen Herkunft. Die Völkervielfalt ist das Thema der Schrift »Europa«. Jedes Kapitel beginnt mit einem Land oder einer Landschaft, wendet sich den Bewohnern zu und bringt einen geschichtlichen Überblick über die politischen, kirchlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Der Traktat ist ein eindrucksvolles Erzeugnis renaissancehafter Diesseitszugewandtheit, das die Mannigfaltigkeit europäischer Landschaften und Völker anschaulich hervortreten lässt. Der gemeinsamen kulturellen Herkunft der Europäer gedenkt insbesondere die Türkenrede, und ein Brief an Nikolaus von  Kues beklagt, dass der lateinische Westen nunmehr von seinen griechischen Quellen abgeschnitten sei.

Der Europagedanke des Eneas wirkte weiter; die Idee eines Kreuzzuges gegen die Türken als einer Verpflichtung des Abendlandes durchzog die Publizistik bis ins 17. Jahrhundert. Zugleich aber wurde Europa von den Glaubensspaltungen heimgesucht, die – zunächst in Frankreich, dann in anderen Ländern – furchtbare Kriege zur Folge hatten. Der antitürkische Kampfgeist verband sich daher mit einem starken Verlangen nach innereuropäischem Frieden, und unter dem Druck dieser einander entgegengesetzten Ansprüche verwandelte sich die überkommene Vorstellung von der durch Papst und Kaiser repräsentierten Christenheit allmählich in die neue Konzeption eines Europa, das auf dem föderativen Zusammenschluss seiner Staaten beruhen müsse. Ein herausragendes Beispiel für dieses Denken war der »Grand Dessein« (»Der große Plan«), den der Herzog von Sully als Hinterlassenschaft König Heinrichs IV. von Frankreich seinen Memoiren einverleibte: Der König habe Europa in ein Friedensreich verwandeln wollen, in eine République Chrétienne, einen Zusammenschluss von fünfzehn ungefähr gleich starken Staaten (zu deren Herstellung die politische Landkarte allerdings gründlich hätte verändert werden müssen).

Der Europagedanke und das Gleichgewicht der Mächte als Garant des Friedens: Die Reformation und die Religionskriege waren der Säkularisierung des staatlichen Lebens förderlich. Die Reformation schränkte die päpstliche Oberhoheit auch in ihrem ureigenen Bereich, innerhalb der Kirche, erheblich ein; die Glaubenskriege wiederum kompromittierten das Christentum überhaupt und leisteten einem von jeglicher Religion emanzipierten Vernunftdenken Vorschub. So bildete sich im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts ein Staatsbegriff heraus, der den Staat von allen Bindungen, zumal den religiösen, befreite und ganz auf sich selbst gestellt wissen wollte; als neues Regulativ für das Zusammenleben der Staaten setzte sich die Doktrin vom »Gleichgewicht der Mächte« durch.

Geschichtsschreibung und Publizistik leisteten Entscheidendes auf dem Weg zum modernen Staat. Die Geschichtsschreibung brachte einen bislang unbekannten Typus von Werken hervor, der die Nation zum höchsten, alles Detail durchdringenden und die Einheit des Ganzen stiftenden Prinzip erhob. Der französische Diplomat P. de  Commynes suchte in seinen Memoiren die Politik seiner Zeit als ein Kraftfeld sich wechselseitig beschränkender Größe zu deuten; ihm gelang hiermit eine erste Stufe des Gleichgewichtsgedankens. Radikaler verzichteten zwei Italiener im Bereich der Politik auf jegliche Religion: N. Machiavelli, der die universalen Mächte aufs Schärfste ablehnte und die durch ein unveränderliches Wesen sich auszeichnenden Nationen zu den eigentlichen Subjekten der Geschichte erhob, sowie F. Guicciardini, der – angesichts des zwischen den Großmächten Frankreich und Habsburg zerriebenen Italien – die Idee des Völkerfriedens propagierte.

Der Vollender dieser Entwicklung war der französische Staatstheoretiker J. Bodin, der Schöpfer des Souveränitätsbegriffs; er führte in seinen Schriften (vor allem »Les six livres de la république«, 1576) eine europäische Staatlichkeit vor, die auf einem System individueller Nationen beruht und zugleich Europa als Teil des globalen Ganzen versteht – als den bestimmenden Teil, da seine Kultur die Kultur der Antike bereits eingeholt, ja überholt habe. Dabei bedient er sich bei alldem wie selbstverständlich solcher Formeln wie »die Fürsten Europas« oder »die Völker Europas«.

Die rege politische Publizistik des 16. und 17. Jahrhunderts kannte kein wichtigeres Thema als das Problem des europäischen Gleichgewichts, als den Grundsatz, kein einzelner Staat dürfe so viel Macht erlangen, dass ihn nicht die übrigen Staaten in die Schranken zu weisen vermöchten; diese Maxime sah man zunächst durch das habsburgische Weltreich und dann durch das Frankreich Ludwigs  XIV. bedroht. Die Abhandlungen und Flugschriften, die in dichter Folge die jeweilige Lage am Prinzip des Gleichgewichts maßen, bevorzugten im 16. Jahrhundert noch die Begriffe Christen und Christenheit; der Europaname setzte sich in dieser für eine breitere Öffentlichkeit bestimmten Literatur erst während des 17.  Jahrhunderts allmählich durch. Hierzu hat wohl auch G.  W. Leibniz beigetragen, der in zahlreichen Gelegenheitsschriften die Grundgedanken der Epoche, das Eigenrecht der Nationen, das Gleichgewicht und das Postulat des Völkerfriedens zu fördern suchte und sich hierbei immer wieder zu Europa als dem Bezugsrahmen einer Argumentation bekannte. Sein jüngerer Zeitgenosse, der Abbé de Saint-Pierre, erregte großes Aufsehen mit seinem sehr genau ausgearbeiteten Plan eines Staatenbundes, zum Zwecke eines unverbrüchlichen Friedens; das Projekt sollte den christlichen Staaten Europas ein konfliktfreies Zusammenleben ermöglichen.

Während kühnen Entwürfen wie denen des Herzogs von Sully oder des Abbé de  Saint-Pierre keinerlei Einfluss auf die politische Praxis ihrer Zeit beschieden war, stand die Doktrin vom Gleichgewicht der Mächte den Handelnden offensichtlich nahe genug, ihnen als Instrument für zwischenstaatliche Vereinbarungen zu dienen. Der Oranier Wilhelm III., Statthalter der Niederlande und König von England, galt den Zeitgenossen in seinem Kampf gegen Ludwig XIV. geradezu als Verkörperung des Prinzips. Der Friedensvertrag von Utrecht (1713), ein Erfolg des englischen Unterhändlers Lord Bolingbroke, der für die meisten Beteiligten den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, bezeichnete als Zweck die Herstellung eines »juste équilibre de puissance« (»eines gerechten Gleichgewichts der Macht«), wobei allerdings als Bezugsrahmen noch die Christenheit, nicht Europa genannt wird. Diese Formeln leisteten wohl nicht, was sie beanspruchten, sondern bemäntelten nur die Interessen einzelner Staaten, hatten aber beschwichtigenden Charakter.

Der Europagedanke von der Aufklärung bis zum Zweiten Weltkrieg[]

Europa als ein Inbegriff von Staaten, deren Bewohner sich durch ihre gemeinsame Kultur miteinander verbunden wussten und die in wechselseitiger Unabhängigkeit neben- und miteinander zu existieren wünschten: An diesen Maximen des neuzeitlichen Europas hat sich in den drei Jahrhunderten vom Westfälischen Frieden bis zu den Weltkriegen nichts mehr geändert. Nach wie vor suchten die Europa-Entwürfe den innereuropäischen Frieden auf zweierlei Weise zu sichern: durch die Gründung eines Staatenbundes oder durch das Postulat des Gleichgewichts. Die Varianten der erstgenannten Möglichkeit blieben Projekt, z. B. der Vorschlag von Leibniz, ein übernationales Schiedsgericht zu schaffen, oder der rigoros zentralistisch orientierte Plan des Grafen Saint-Simon oder schließlich der »Europäische Bund« des Dänen Schmidt-Phiseldek (1820), für den die Vereinigten Staaten von Amerika als Vorbild dienen sollten. Die zweite Möglichkeit stand der Realität näher und setzte sich in Kongressen als allgemein anerkanntes Prinzip der politischen Praxis durch; das Handlungsmuster wurde im 19. Jahrhundert auch Europäisches Konzert genannt.

Das äußere und innere Geschehen der frühen Neuzeit bedingte, dass sich die das Vielerlei der Staaten und Völker zusammenfassende Terminologie veränderte. Der Untergang des Byzantinischen Reiches machte die auf die Spätantike zurückgehende Unterscheidung von Ost und West (Orient–Okzident, Morgenland–Abendland) gegenstandslos; die türkische Bedrohung war stattdessen dem Gebrauch des Europanamens förderlich. Die Entwicklung von der lateinisch-katholischen Einheit über die Konfessionen zur Aufklärung und Säkularisierung bewirkte, dass auch der bisher verbreitete Begriff »Christenheit« durch »Europa« ersetzt wurde. Und schließlich profitierte der geografische Name von einem neuen Gegensatz, den erst das Zeitalter der Entdeckungen ermöglicht hatte, von der Antithese »Europa–Übersee« worin viel Selbstbewusstsein der sich für überlegen haltenden Europäer zum Ausdruck kam (ablesbar z. B. an den allegorischen Darstellungen der Kontinente auf den Fresken Tiepolos in der Würzburger Residenz).

Reformation und Gegenreformation hatten die alte, die »christliche« Einheit gesprengt, und sie vermochten auch zur neuen, zur »europäischen« Einheit nichts beizutragen. Diese ging vielmehr aus einer dritten Kraft hervor, die sich neben dem Christentum und den Konfessionen ansiedelte: aus der humanistischen Tradition, aus der von der Theologie emanzipierten Philosophie, aus einer neuen, nicht mehr kirchlichen Belangen dienenden Auffassung von Bildung. Der nunmehr gültige Europagedanke gründete sich – wie die Menschen- und Bürgerrechte der Vereinigten Staaten und der Französischen Revolution – auf ein modernes, der Vernunft und der Erfahrung verpflichtetes Fundament; er war das Resultat der Lehre von Denkern wie Bodin, Grotius, Leibniz, Shaftersbury, Montesquieu, Locke, Voltaire und Kant – auch wenn die Terminologie ihrer politisch-moralischen Theorien oft mehr auf die Menschheit zu zielen behauptete als auf Europa. Der neue Europagedanke spiegelte eine gesamteuropäische Einschätzung der Kultur, die vor allem im belesenen Großbürgertum ihre Heimstatt hatte.

Die europäische Praxis der Kongresse und des Ausgleichs erlitt Einbrüche, etwa durch die polnischen Teilungen (1772–95) sowie – viel rigoroser – durch den Versuch Napoleons  I., Europa eine Einheit unter französischer Hegemonie aufzuzwingen. Das Scheitern dieses Unternehmens hatte das System Metternichs zur Folge, d.  h. die rein rückwärtsgewandte Wiederherstellung der vorrevolutionären Ordnung. Unterstützend wirkte hierbei die Romantik. Man betrachtete die Französische Revolution und den napoleonischen Imperialismus als Abfall von der Einheit des Mittelalters und stellte sogar die Forderung (so J. de  Maistre), auf die einst von der Kirche verbürgte Gemeinschaft des Glaubens zurückzugreifen. Novalis hat diese Vorstellungen in seiner Schrift »Die Christenheit oder Europa« (1799) zusammengefasst. Die schwach gesicherte Friedensordnung, die der Wiener Kongress dank Metternichs und seines Sprachrohrs Friedrich Gentz geschaffen hatte, vermochte Europa immerhin ein Jahrhundert lang, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, vor schweren Konflikten zu bewahren, obwohl der Wettstreit der Nationen und mit ihm die Ambitionen des Nationalismus stets radikaler wurden. Erst mit den Kettenreaktionen, die die Bündnissysteme im Sommer 1914 hervorriefen, trug das einzelstaatliche Machtdenken endgültig den Sieg über das »Europäische Konzert« davon.

Mit dem Ersten Weltkrieg beraubte sich Europa seiner globalen Hegemonie; bisher am Rande gelegene Mächte, die Vereinigten Staaten, Russland und Japan, gewannen an Geltung. Dementsprechend konzentrierten sich die Bemühungen um eine dauerhafte neue Friedensordnung zunächst auf weltweite Institutionen, auf den Völkerbund nebst Ständigem Internationalem Gerichtshof. Doch auch im europäischen Bereich suchte man sich gegen einen abermaligen Krieg zu sichern. Da sich die Doktrin vom Gleichgewicht als unzureichend erwiesen hatte, strebte man nunmehr ernsthaft nach einer die Einzelstaaten umgreifenden europäischen Verfassung, nach »Vereinigten Staaten Europas«. Die bolschewistische Lesart dieses Projekts, die Trotzki empfahl, rief noch im gleichen Jahr, 1923, die Paneuropa-Bewegung des Grafen von Coudenhove-Kalergi auf den Plan: Unter dem Dach des Völkerbundes sollte eine europäische Konföderation (ohne Großbritannien nebst Commonwealth, die Sowjetunion und die Türkei) entstehen. Die Initiative stieß auf breiten Widerhall, auch bei Politikern. Im Jahre 1929 setzte sich der französische Ministerpräsident A. Briand vor der Völkerbundsversammlung für eine föderale Bindung der Staaten Europas ein; er wurde beauftragt, ein detailliertes Programm auszuarbeiten. Die im Briand-Memorandum vom Mai 1930 niedergelegten europapolitischen Vorstellungen der französischen Regierung (Union in Form eines Staatenbundes, gemeinsamer Markt, Infrastrukturprojekte) stießen jedoch bei den Regierungen Deutschlands, Großbritanniens und Italiens auf Bedenken oder Ablehnung. Der Machtverlust Briands, der Vorrang des Commonwealth in der britischen Außenpolitik, die Reaktivierung der Revisionspolitik in Deutschland durch die Regierung Brüning, die Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg des Nationalsozialismus bereiteten dem kurzen politischen Aufschwung des Europagedankens ein Ende.

Der Weg in die Europäische Union[]

Bereits während des Zweiten Weltkriegs hatten Exilregierungen und Widerstandsgruppen in den besetzten Ländern die Überwindung des nationalstaatlichen Nebeneinanders gefordert. Neuen Auftrieb erhielt der Europagedanke durch die berühmte Rede, die W. Churchill am 19.  September 1946 in der Aula der Züricher Universität hielt: Die Europäer, zuallererst Frankreich und Deutschland, sollten »eine Art Vereinigter Staaten von Europa« einrichten, ein Gebilde, das den Bewohnern »das Gefühl eines weiter gespannten Patriotismus und einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit einflößen und den gemeinsamen Reichtum an Geist und Kultur weitergeben« könne. Diese Ansprache, vorgetragen von der Siegerpersönlichkeit, die das größte internationale Prestige genoss, gab den Anstoß für verschiedene Initiativen, die schließlich 1947 zur Einsetzung des »Koordinierungsausschusses der Bewegung für die Einheit Europas« führte; mit dem von diesem einberufenen Delegiertenkongress in Den Haag 1948 nahm die eigentliche europäische Integration ihren Anfang.

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