Europäischer Stabilitätsmechanismus, Abkürzung ESM, Instrumentarium, das die Stabilität der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion als Ganzes gewährleisten soll. Der »Vertrag zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus« wurde von den 17 Mitgliedstaaten der Eurozone in einer ersten Version am 11. 7. 2011 und in veränderter Version am 2. 2. 2012 unterzeichnet. Der ESM hat den im Mai 2010 befristet eingerichteten Euro-Rettungsschirm abgelöst. – 2018 gehörten ihm 19 EU-Mitgliedstaaten an.
Mit dem ESM sollen zahlungsunfähige Mitgliedstaaten der Eurozone finanziell mit Krediten der Gemeinschaft der Euro-Staaten unterstützt werden.
Temporärer Rettungsschirm: Die Einrichtung des Euro-Rettungsschirms im Mai 2010 zielte darauf, die drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands abzuwenden und so die Auswirkungen eines Ausfalls dieses Mitgliedstaats (europaweite Bankenrettungsaktionen nach vollständiger Zahlungseinstellung) auf die Eurozone abzufangen. Der Rettungsschirm, wie er am 9./10. 5. 2010 verabschiedet wurde, umfasst ein Garantievolumen von 750 Mrd. € und setzt sich wie folgt zusammen:
Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (Abkürzung EFSM), eingerichtet als Gemeinschaftsinstrument der EU, stellt aus dem Haushalt der EU 60 Mrd. € zur Verfügung. Er entfällt spätestens mit Inkrafttreten des ESM. Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (Abkürzung EFSF), eingerichtet als intergouvernementales Instrument, steuert 440 Mrd. € zum Garantievolumen des Rettungsschirms bei. Die als Zweckgesellschaft gegründete EFSF (Sitz: Luxemburg) kann dem betroffenen Land Kredite zu deutlich niedrigeren Zinssätzen, als das verschuldete Land auf dem freien Kapitalmarkt bezahlen müsste, gewähren. Diese Kredite, für die alle Mitgliedstaaten der Eurozone entsprechend ihrem Kapitalanteil an der EZB haften müssen, refinanziert die EFSF am Kapitalmarkt. Voraussetzung für die Gewährung von Krediten ist, dass der betroffene Staat ein finanzielles und wirtschaftliches Sanierungsprogramm akzeptiert, das darauf abzielt, die finanzielle Stabilität wiederherzustellen. Der IWF stellt bis zu 250 Mrd. € zur Verfügung.
Auf Gipfeltreffen im März und Juli 2011 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Eurozone Modifikationen an der EFSF: Damit sie sich den Gesamtbetrag von 440 Mrd. € so günstig wie möglich (AAA-Rating) am Kapitalmarkt beschaffen kann, wurde der Garantierahmen der Eurostaaten auf 780 Mrd. € erhöht. Nach dieser Erweiterung muss Deutschland Garantien in Höhe von 211 Mrd. € bereitstellen. Überdies wurden die Kompetenzen für die EFSF (und deren Nachfolger ESM) erweitert: Danach besteht unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, auf dem Primärmarkt für Staatsanleihen einzugreifen sowie alte Staatsschulden auf den Sekundärmärkten aufzukaufen. Des Weiteren kann ein Mitgliedstaat gleichsam »präventiv«, also vor (unmittelbar bevorstehendem) Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit, Kredite erhalten. Beide Instrumente setzen die Existenz bzw. Verabschiedung von Spar- und Reformprogrammen in den betroffenen Staaten voraus. Schließlich können Staaten Darlehen zur Rekapitalisierung ihrer Finanzinstitute erhalten. Das gilt auch für Staaten, die stabil sind, deren Banken aber durch die hohe Verschuldung eines anderen Staates der Eurozone bedroht sind.
Der Bundestag billigte diese Erweiterungen am 29. 9. 2011 nach kontroverser Debatte. 523 Abgeordnete stimmten für den Gesetzentwurf, 85 votierten mit Nein und 3 enthielten sich der Stimme. Verfassungsbeschwerden, die u. a. die Frage betrafen, inwieweit der Euro-Rettungsschirm nationalem bzw. europäischem Recht widerspricht, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits mit Urteil vom 7. 9. 2011 abgewiesen. Zugleich verpflichtete das Gericht die Bundesregierung jedoch, bei künftigen Rettungsmaßnahmen vor jedem Schritt die Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bundestags einzuholen.
Ein weiterer Gipfel im Oktober 2011 beschloss u. a., mit Hilfe eines sogenannten Kredithebels die Ressourcen der EFSF zu optimieren, so dass ihr voraussichtlich 1 Billion Euro zur Verfügung steht.
Dauerhafter Schutz- und Nothilfemechanismus: Da sich die Verschuldungskrise in der Eurozone fortsetzte, beschloss der Europäische Rat im Dezember 2010, einen dauerhaften institutionellen Schutz- und Nothilfemechanismus einzurichten und hierfür Artikel 136 AEUV wie folgt zu erweitern: »Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.« Mit dieser Vertragsänderung wird die No-Bail-out-Klausel (Nichtbeistandsklausel) zwar grundsätzlich nicht angetastet, aber dennoch eine Unterstützung ermöglicht, sofern die Stabilität der Eurozone insgesamt gefährdet ist. Dem ESM gehören alle Mitglieder der Eurozone an (Artikel 1 und 2 des Vertrags zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus), seinen Sitz hat er in Luxemburg (Artikel 31, Absatz 1). Stimmberechtigte Mitglieder des Gouverneursrats, der auch über die Kreditvergabe zu entscheiden hat, sind die für Finanzen zuständigen Mitglieder der nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten (Artikel 5, Absatz 1). An seinen Sitzungen können auch das für Wirtschaft und Währung zuständige Mitglied der Europäischen Kommission, der Präsident der EZB sowie der Präsident der Eurogruppe, sofern dieser nicht stimmberechtigtes Mitglied des Gouverneursrats ist, teil (Artikel 5, Absatz 3). Für Entscheidungen über Finanzhilfen aus dem ESM bedarf es nicht notwendig der Einstimmigkeit, vielmehr genügt unter bestimmten Umständen nach Artikel 4, Absatz 4 eine qualifizierte Mehrheit von 85 % der abgegebenen Stimmen (da die Stimmrechte sich nach dem Beitragsanteilen am Stammkapital bemessen, behalten Deutschland, Frankreich und Italien, die jeweils mehr als 15 % der ESM-Anteile halten, ein Vetorecht). Hinsichtlich der Kapitalstruktur speist sich der ESM aus drei Quellen:
80 Mrd. € sind direkte Einlagen, die die Mitgliedstaaten der Eurozone einzahlen. Die Mitgliedstaaten garantieren für ein Finanzvolumen von insgesamt 620 Mrd. €, wovon maximal 420 Mrd. € als Kredite ausgezahlt werden. Die Differenz in der Garantiesumme zielt darauf, dass ESM-Anleihen an den Kapitalmärkten eine sehr gute Bonität (AAA-Rating) erhalten und für sie ein niedriger Zinssatz zu entrichten ist. Der IWF beteiligt sich weiterhin mit einer Kreditsumme in Höhe von 250 Mrd. €. Das Instrumentarium, das dem ESM zur Verfügung steht, gleicht dem der EFSF (neben der Kreditvergabe vorsorgliche Kreditlinien, Rekapitalisierungen von Finanzinstituten sowie Primär- und Sekundärmarktinterventionen).
Unterstützung vom ESM kann ein Mitgliedstaat nur dann erhalten, wenn diese für die Stabilität der Eurozone als Ganzes unabdingbar ist. Im Allgemeinen wird sie in Form von Krediten gewährt. Der Verwaltungsrat muss die Kreditvergabe einstimmig beschließen; ihr muss eine Schuldentragfähigkeitsanalyse vorausgehen. Die Unterstützung ist an strikte Auflagen zur Sanierung der Staatsfinanzen gekoppelt.
An der Finanzierung des ESM sind die Mitgliedstaaten der Eurozone ebenfalls im Grundsatz entsprechend ihrem Kapitalanteil an der EZB beteiligt. Der deutsche Anteil beträgt laut Beitragsschlüssel 27,1464 %; an einzuzahlendem ESM-Kapital sind das 21,72 Mrd. €; an abrufbarem Kapital muss Deutschland Garantien in Höhe von 168,3 Mrd. € zur Verfügung stellen.
Fiskalpakt und weitere Stabilisierungsmaßnahmen: Auf einem EU-Gipfel im Dezember 2011 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Großbritannien, den Weg zu einer fiskalpolitischen Union zu beschreiten (Stabilitäts- und Wachstumspakt). Mit dem »Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion« (kurz »Fiskalvertrag«, auch »Fiskalpakt«), den am 2. 3. 2012 alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Großbritanniens und der Tschechischen Republik unterzeichnet haben, verpflichten sich die Vertragsstaaten im Kern, Schuldenbremsen (die strukturell bedingte, konjunkturunabhängige Neuverschuldung darf 0,5 % des BIP nicht überschreiten) in nationales Recht mit starker Bindungskraft (vorzugsweise auf Verfassungsebene) umzusetzen und akzeptieren automatische Sanktionen, sofern die neuen Regeln zur Haushaltsdisziplin nicht eingehalten werden (der Automatismus kann nur durch ein ausdrückliches Mehrheitsvotum der Vertragsstaaten gestoppt werden). Der Fiskalpakt trat am 1. 1. 2013 in Kraft.
Der Bundestag billigte am 29. 6. 2012 den ESM und den Fiskalvertrag jeweils mit Zweidrittelmehrheit (Fiskalpakt: 491 Ja-, 111 Nein-Stimmen, 6 Enthaltungen; ESM: 493 Ja-, 106 Nein-Stimmen, 5 Enthaltungen). Auch der Bundesrat gab mit Zweidrittelmehrheit sein Einverständnis. Die Zweidrittelmehrheit im Bundestag und -bundesrat war notwendig, da der Fiskalvertrag die staatliche Souveränität beschneidet (Vorgaben des Grundgesetzes zur Haushaltsführung von Bund und Ländern können künftig nicht beliebig geändert werden, anderen Staaten wird die Möglichkeit eingeräumt, gegen die innenpolitische Entscheidung über den Haushalt Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erheben, Defizitstaaten sind künftig verpflichtet, ihre Haushalte in Grundzügen von EU-Institutionen genehmigen zu lassen). – Nach der Zustimmung von Bundestag und -bundesrat zum ESM und Fiskalpakt erhoben mehrere Kläger bzw. Klägergruppen Beschwerde bzw. Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Kritiker bemängeln u. a. eine Beschneidung der Haushalts- und Kontrollrechte des Bundestags. Mit Urteil vom 12. 9. 2012 billigte das Bundesverfassungsgericht die Beteiligung Deutschlands am ESM und Fiskalpakt unter Vorbehalten. Danach darf u. a. die Haftung Deutschlands von rund 190 Mrd. € ohne die Zustimmung des deutschen Vertreters in den ESM-Gremien nicht erhöht werden und es muss gewährleistet sein, dass trotz der Regelungen des Vertrages über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM und trotz der Schweigepflicht aller Personen, die beruflich für den ESM tätig sind, Bundestag und -rat umfassend informiert werden. Mit diesem Urteil entschied das Bundesverfassungsgericht über die Eilanträge, eine Entscheidung über die Verfahren in der Hauptsache steht noch aus (in diesem Zusammenhang wird auch der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB geprüft). Da eine summarische Prüfung der Rechtslage bereits stattgefunden hat, ist indes davon auszugehen, dass das endgültige Urteil die vorläufige Entscheidung im Wesentlichen bestätigt. Nachdem die ständigen Vertreter der Eurozone in einer gemeinsamen Erklärung völkerrechtlich verbindlich sichergestellt hatten, dass die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden, ratifizierte Bundespräsident J. Gauck am 27. 9. 2012 den Vertrag zum ESM, der am 8. 10. 2012 in Kraft gesetzt wurde.
Bereits im Januar 2012 hatte die Ratingagentur Standard & Poor's der EFSF das Spitzenrating entzogen, Anfang Dezember 2012 zog die Ratingagentur Moody’s nach und senkte die Bonitätsnoten der EFSF und des ESM um eine Stufe. Dieser Schritt wurde mit der Abstufung Frankreichs, das mit einem Anteil von 20,3859 % nach Deutschland der wichtigste Garantiegeber des Rettungsfonds ist, begründet. Mitte Juli 2013 entzog die Ratingagentur Fitch der EFSF das Spitzenrating, nachdem sie kurz zuvor die Bonität Frankreichs herabgestuft hatte.
Im Dezember 2012 verständigten sich die Finanzminister auf Eckpunkte für eine gemeinsame Bankenaufsicht, im September 2013 stimmte das Europäische Parlament einem entsprechenden Gesetz zu und im Oktober 2013 einigten sich die Finanzminister endgültig auf rechtliche Grundlage der Aufsicht. Des Weiteren einigten sich die EU-Finanzminister im Dezember 2013 auf Regeln zur Abwicklung von Banken und die Einrichtung eines Abwicklungsfonds (Europäische Bankenunion).
Spanien beantragte 2012 finanzielle Hilfen von den Mitgliedstaaten des Euroraums zur Sanierung seines Bankensektors. Das Land erhielt 41,3 Mrd. € in Form von ESM-Papieren. Zypern wurde 2013 mit rund 10 Mrd. € zur Stabilisierung des Haushalts und zur Ankurbelung der Wirtschaft unterstützt. Der ESM stellt Griechenland in den Jahren 20015–18 insgesamt bis zu 86 Mrd. € an Kredithilfen zur Verfügung.