Die europäische Geschichte erstreckt sich über mehrere Jahrtausende und umfasst die Entwicklungen von Gesellschaften, Kulturen, politischen Systemen und ökonomischen Strukturen, die sich auf dem europäischen Kontinent herausgebildet haben. Europa, häufig als „Wiege der Zivilisation“ bezeichnet, hat eine zentrale Rolle in der Weltgeschichte gespielt. Diese Rolle wird oft mit der Antike in Verbindung gebracht, als das antike Griechenland und das Römische Reich die Fundamente für politische und philosophische Ideen legten, die bis heute nachwirken. Im Verlauf der Geschichte erlebte Europa zahlreiche Transformationen und Erschütterungen, von der Völkerwanderung über das Mittelalter und die Renaissance bis hin zur Neuzeit, die durch Revolutionen, Kolonialismus und industrielle Entwicklungen geprägt war.
Vorgeschichte
Die europäische Vorgeschichte umfasst die Epoche der frühen menschlichen Besiedlung des Kontinents. Diese Phase begann vor etwa 40.000 Jahren mit der Ankunft moderner Menschen (Homo sapiens), die allmählich die Neandertaler verdrängten. In der Altsteinzeit waren die Menschen als Jäger und Sammler organisiert. Die ersten landwirtschaftlichen Gemeinschaften entstanden während der Jungsteinzeit, etwa 7000 v. Chr., mit der sogenannten neolithischen Revolution. Diese bedeutende Veränderung brachte die Sesshaftigkeit, die Domestikation von Tieren und Pflanzen sowie die Entwicklung von Keramik und Werkzeugen mit sich. Gegen Ende der Vorgeschichte, in der Bronzezeit, ab etwa 3000 v. Chr., entwickelten sich erste komplexe Gesellschaften in Europa, die von der Metallverarbeitung, dem Handel und frühen Formen der Urbanisation geprägt waren.
Antike
Die Antike war eine prägende Epoche der europäischen Geschichte, die etwa von 800 v. Chr. bis zum Untergang des Weströmischen Reiches 476 n. Chr. reicht. In dieser Zeit entwickelte sich die europäische Zivilisation durch den Einfluss des antiken Griechenlands und des Römischen Reiches entscheidend weiter. Die Griechen schufen bedeutende kulturelle und intellektuelle Errungenschaften, darunter die Demokratie in Athen, die Philosophie mit Denkern wie Sokrates, Platon und Aristoteles, sowie bedeutende Fortschritte in der Kunst und Architektur. Parallel dazu expandierte das Römische Reich und entwickelte sich zu einer der mächtigsten politischen und militärischen Mächte der Antike.
Das Römische Reich, das sich um das Mittelmeer erstreckte, legte den Grundstein für das römische Recht, das in vielen modernen europäischen Rechtssystemen nachwirkt. Durch den Ausbau von Straßen, Städten und Verwaltungsstrukturen förderte Rom die wirtschaftliche und kulturelle Integration des Kontinents. Das Christentum, das sich im Laufe des 1. Jahrhunderts n. Chr. aus dem Judentum heraus entwickelte, erlangte unter Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert n. Chr. eine herausragende Rolle und wurde zur Staatsreligion des Römischen Reiches.
Mittelalter
Das Mittelalter erstreckte sich in Europa etwa von 500 bis 1500 und lässt sich in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter unterteilen. Nach dem Fall des Weströmischen Reiches geriet Europa in eine Zeit des Umbruchs und der politischen Zersplitterung. Die sogenannte Völkerwanderung führte zur Bildung neuer Königreiche, darunter die Westgoten, Ostgoten, Vandalen und Franken. Im frühen Mittelalter entstand das Fränkische Reich unter Karl dem Großen, das als Vorläufer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gilt. Karl der Große wurde im Jahr 800 zum Kaiser gekrönt und bemühte sich, ein christliches Reich zu schaffen, das auf den Fundamenten des römischen Erbes ruhte.
Das Hochmittelalter war von der Konsolidierung von Feudalstrukturen und der Expansion der christlichen Kirche geprägt. Der Investiturstreit und die Kreuzzüge sind zentrale Ereignisse dieser Zeit. Während die Kirche ihre Macht konsolidierte, etablierten sich europäische Königreiche wie England und Frankreich als zentrale Akteure in der europäischen Politik. Das Spätmittelalter war von Krisen und Umbrüchen geprägt, darunter die Pest, die im 14. Jahrhundert weite Teile der europäischen Bevölkerung dezimierte, sowie das Schisma der Kirche und zahlreiche Konflikte wie der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich.
Renaissance und frühe Neuzeit
Die Renaissance, die ihren Ursprung im Italien des 14. Jahrhunderts nahm, markiert den Beginn der frühen Neuzeit und den Übergang von der mittelalterlichen zur modernen Welt. Sie zeichnete sich durch eine Wiederentdeckung der antiken Kultur, Kunst und Wissenschaften aus. Gelehrte wie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Galileo Galilei machten bahnbrechende Entdeckungen, die das europäische Weltbild revolutionierten. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450 ermöglichte die schnelle Verbreitung von Wissen und trug entscheidend zur Reformation bei.
Die Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Kolumbus und die anschließenden kolonialen Expansionen der europäischen Mächte, insbesondere Spaniens und Portugals, markierten den Beginn des Zeitalters des Kolonialismus. Dies führte zu einer globalen Neuordnung und einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung in Europa. Die religiöse Spaltung durch die Reformation, ausgelöst durch Martin Luthers Thesenanschlag 1517, führte zu tiefgreifenden Umwälzungen in der christlichen Welt und zum Aufstieg protestantischer Staaten.
Zeitalter der Aufklärung und Revolutionen
Das 18. Jahrhundert war von der Aufklärung geprägt, einer intellektuellen Bewegung, die Vernunft, Freiheit und Gleichheit betonte. Aufklärer wie Voltaire, Rousseau und Kant kritisierten die absolute Monarchie und das Feudalsystem, was maßgeblich zur Entstehung liberaler und demokratischer Ideen beitrug. Diese Ideen fanden ihren Ausdruck in den großen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts. Die Amerikanische Revolution 1776 führte zur Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, und die Französische Revolution 1789 führte zur Abschaffung der Monarchie in Frankreich und legte den Grundstein für moderne Demokratie und Menschenrechte.
Der Napoleonische Krieg in den frühen 1800er Jahren führte zu einer Neuordnung Europas, als Napoleon versuchte, ein europäisches Imperium zu errichten. Trotz seines Scheiterns prägten die Ideen der Französischen Revolution weiterhin die politische Entwicklung Europas, insbesondere den Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung und die Abschaffung der feudalen Strukturen.
Industrialisierung und Nationalstaatenbildung
Das 19. Jahrhundert war durch die Industrielle Revolution und die Bildung von Nationalstaaten geprägt. Die Industrialisierung, die in Großbritannien begann und sich schnell auf das europäische Festland ausbreitete, veränderte die Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend. Die Urbanisierung, der Aufstieg des Proletariats und die Entwicklung neuer Technologien wie der Dampfmaschine führten zu tiefgreifenden sozialen Umwälzungen.
Parallel dazu führte der Aufstieg des Nationalismus zur Schaffung moderner Nationalstaaten. Die Einigung Italiens 1861 und die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 waren bedeutende Meilensteine. Auch der Kolonialismus erreichte in dieser Zeit einen Höhepunkt, als europäische Mächte, insbesondere Großbritannien und Frankreich, große Teile Afrikas und Asiens unter ihre Kontrolle brachten.
20. Jahrhundert und Gegenwart
Das 20. Jahrhundert war eine der turbulentesten Epochen in der europäischen Geschichte, geprägt von zwei Weltkriegen, dem Aufstieg und Fall totalitärer Regime und dem Kalten Krieg. Der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) führte zum Zusammenbruch der europäischen Monarchien und schuf die Grundlage für die Entstehung totalitärer Systeme in Russland und Deutschland. Der Zweite Weltkrieg (1939 bis 1945) verwüstete Europa und führte zum Fall des nationalsozialistischen Deutschlands sowie zur Teilung des Kontinents in einen westlichen und einen östlichen Block.
Der Kalte Krieg, der von 1947 bis 1991 dauerte, war eine Zeit des ideologischen und politischen Konflikts zwischen der westlichen Welt, angeführt von den Vereinigten Staaten, und dem östlichen Block unter der Führung der Sowjetunion. Die Europäische Integration, die mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 begann und schließlich zur Gründung der Europäischen Union 1993 führte, wurde zu einem zentralen politischen Projekt, um Frieden und Stabilität in Europa zu sichern.
Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 endete der Kalte Krieg, und Europa trat in eine neue Ära der Zusammenarbeit und des Friedens ein. Dennoch sieht sich der Kontinent bis heute mit Herausforderungen wie wirtschaftlichen Krisen, Migration und dem Aufstieg populistischer Bewegungen konfrontiert.
Siehe auch
Literatur
Sammelwerke
- Handbuch der europäischen Geschichte. Hrsg. von Theodor Schieder. 7 Bände. Stuttgart 1968–1987.
- Handbuch der Geschichte Europas. Hrsg. von Peter Blickle. Zehn Bände, Stuttgart 2000 ff.
- Penguin History of Europe. Hrsg. von David Cannadine. London 2001 ff. [angelegt auf 8 Bände, noch nicht abgeschlossen]
- Propyläen Geschichte Europas. Sechs Bände, Berlin 1975 ff., ISBN 3-549-05529-3 (mehrere Nachdrucke).
- C.H. Beck Geschichte Europas. C. H. Beck, München 2010ff. [derzeit acht Bände erschienen, noch nicht abgeschlossen]
Einzelwerke
- Norman Davies: Europe. A History. Oxford 1996.
- Norman Davies: Verschwundene Reiche. Die Geschichte des vergessenen Europa. London 2011, ISBN 978-3-8062-2758-1 (E-Book: ISBN 978-3-8062-2511-2, Titel der engl. Originalausgabe: Vanished Kingdoms – The History of Half Forgotten Europe. London 2011, Rezension).
- Frédéric Delouche (Hrsg.): Das europäische Geschichtsbuch. Von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert. 3. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-608-96257-4.
- Matthias von Hellfeld: Von Anfang an Europa. Die Geschichte unseres Kontinents. Herder, Freiburg im Breisgau 2019, ISBN 978-3-451-38552-0.
- Tony Judt: Postwar. A History of Europe Since 1945. Penguin Press, New York u. a. 2005, ISBN 1-59420-065-3.
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- Henry de Lumley: La grande histoire des premiers hommes européens. Odile Jacob, Paris 2009, ISBN 978-2-7381-2386-2.
- Fritz Mitthof, Peter Schreiner, Oliver Jens Schmitt (Hrsg.): Handbuch zur Geschichte Südosteuropas. Band 1: Herrschaft und Politik in Südosteuropa von der römischen Antike bis 1300. de Gruyter, Berlin/Boston 2019.
- Klaus Oschema: Bilder von Europa im Mittelalter (= Mittelalter-Forschungen. Bd. 43). Thorbecke, Ostfildern 2013.
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- Gerhard Schulz: Europa und der Globus. Staaten und Imperien seit dem Altertum. DVA, Stuttgart/München 2001, ISBN 3-421-05349-9.
- Brendan Simms: Kampf um Vorherrschaft. Eine deutsche Geschichte Europas 1453 bis heute. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014.
- Andreas Wirsching: Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63252-5.
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