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Bretonische Literatur, Literatur in bretonischer Sprache. Das älteste Dokument der bretonischen Literatur sind einige Zeilen eines volkstümlichen Liebesgedichts, die der Schreiber Ivonet Omnès um 1350 auf die Ränder einer zweiteiligen lateinischen Handschrift schrieb (Paris, Bibliothèque Nationale de France).

Mit dem 16. Jahrhundert setzt die dichte Überlieferung religiöser Literatur ein, bei der neben Dichtung und Prosa v. a. die Mirakelspiele, wie z. B. die »Passion« (1530) oder »La vie de Sainte Nonne« (letztes Drittel des 16. Jahrhunderts) hervorzuheben sind. – Im 19. Jahrhundert begann unter national-romantischen Vorzeichen die Sammlung der Volksliteratur: Théodore Hersart de la Villemarqué (eigentlich Kervarker, * 1815, † 1895) veröffentlichte »Poèmes bretons du moyen-âge« (1879) und verschiedene Arbeiten zur bretonischen Sprache und Literatur, besonders wirksam wurde seine Volksliedersammlung »Barzaz Breiz« (1839), eine redigierte Fassung des Materials mit Tendenz zur Sprachreinigung; François-Marie Luzel (eigentlich An Uhel, * 1821, † 1895) war ein besonders erfolgreicher Sammler mündlich tradierter Volksliteratur. Zu seinen Veröffentlichungen gehören die »Légendes chrétiennes de la Basse-Bretagne« (2 Bände, 1881) und die »Contes populaires de la Basse-Bretagne« (3 Bände, 1887).

Führende Vertreter der bretonischen Lyrik des 19. Jahrhunderts waren Auguste Brizieux (* 1803, † 1858) und Prosper Proux (* 1811, † 1873); es folgte im frühen 20. Jahrhundert Yann-Ber Kalloc'h (Pseudonym Bleimor, * 1888, † 1917) mit der Sammlung »Ar en deulin« (»À genoux«, 1921). Die bretonische Literatur blieb im Allgemeinen bis ca. 1900 auf die Imitation der von Luzel u. a. gesammelten Volksdichtung und einfacher französischer Modelle (besonders J. de La Fontaine) beschränkt.

Die Situation änderte sich mit der literarischen Renaissance im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts, die durch den Kreis um Roparz Hemon (* 1900, † 1978) und die Zeitschrift »Gwalarn« (»Der Nordwesten«, 1925–44), seit 1946 unter dem Titel »Al Liamm« (»Das Band«), bewirkt wurde und zur Entwicklung einer modernen bretonischen Literatur führte. Als neue Gattung entwickelte sich die Kurzgeschichte, die besonders Jakez Riou (* 1899, † 1937), aber auch Hemon, Youenn Drezen (* 1899, † 1972) und François Elies (genannt Abeozen, * 1896, † 1963) pflegten. Die Werke dieser Epoche sind zum Teil auch ins Französische übersetzt worden, z. B. der Roman »Itron Varia Garmez« (1941; französisch »Notre Dame Bigoudène«) von Drezen, die Dramen von Tanguy Malmanche (* 1875, † 1953) »Ar Baganiz« (1931; französisch »Les païens«), »Gurvan, ar marc'hek estranjour« (1923; französisch »Gurvan, le chevalier étranger«) und die Lyrik von R. Le Masson (eigentlich Roperh Er Mason, * 1900, † 1952) »Chal ha dichal« (1943; französisch »Flux et reflux«). Der vielseitige Hemon, der nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seinem Tode in Dublin lebte, wirkte als Dichter, Schriftsteller, Literaturkritiker, Übersetzer, Keltologe und Inspirator der bretonischen Bewegung. Nach den Weltkriegen bilden Landflucht und Industrialisierung zentrale Themen der bretonischen Literatur. Obwohl sie in den 1970er-Jahren einen neuen Aufschwung erfuhr, ist sie dennoch eine Literatur in der Krise. Wichtige Autoren der ersten Nachkriegsgeneration waren Pierre-Jakez Hélias (* 1914, † 1995) und Anjela Duval (* 1905, † 1981), ihnen folgten Mikael Madeg (* 1950) und Yann Gerven (* 1946).

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