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Antike [zu lateinisch antiquus »alt«] die, -, Bezeichnung für das griechisch-römische Altertum, die erste Großepoche im dreigliedrigen (Antike, Mittelalter und Neuzeit umfassenden) Schema der europäischen Geschichte.

Die Antike erstreckte sich je nach Definition zeitlich vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis zum Ende des weströmischen Kaisertums im 5. oder bis zum Tod Kaiser Justinians im 6. Jahrhundert, nach Ansicht mancher Historiker sogar bis zum Beginn der Ausbreitung des Islam im 7. Jahrhundert n. Chr.; sie wird einerseits durch die altorientalische, zum Teil auch durch die Ur- und Frühgeschichte, andererseits durch das Mittelalter begrenzt. Räumlich umfasste sie die ganze mediterrane Welt von Spanien und Marokko bis Mesopotamien. Sie war Wegbereiterin und Vorbild für die europäische Kultur im engeren Sinn bis zum Beginn der technisch-industriellen Revolution.

Die Hinterlassenschaft der Antike besteht aus Kunst- und Bauwerken sowie aus Gebrauchsgegenständen und v. a. aus Texten, die vornehmlich in griechischer und lateinischer Sprache abgefasst sind. Sie wird seit dem 18. Jahrhundert durch die Altertumswissenschaften systematisch erforscht und in Museen und Textausgaben präsentiert. Die Bergung und Ordnung der dinglichen Überreste ist Sache der (klassischen) Archäologie; mit dem Studium der Texte befassen sich die Alte Geschichte und die Klassische Philologie, die durch Lehrstühle und Institute an den europäischen Universitäten vertreten sind.

Begriff[]

Der Begriff Antike ist das Ergebnis neuzeitlicher Rückschau. Gleichwohl fasst er nicht willkürlich eine Vielzahl von Jahrhunderten zusammen. Die beiden für die Antike konstitutiven Völker, die Griechen und die Römer, verstanden sich selbst, ihre politische Verfassung und ihre Kultur als etwas Besonderes im Verhältnis zu ihrer »barbarischen« (orientalischen, phönikischen, keltischen usw.) Umwelt, und sie suchten ihre je eigene Geschichte auch chronologisch zu einer selbstständigen Einheit zusammenzufassen: die Griechen durch die Olympiadenzählung (ab 776 v. Chr.), die Römer durch die Ära ab urbe condita (»seit Gründung der Stadt Rom«, ab 753 v. Chr.). Die Entwicklung der beiden Völker war phasenverschoben und muss daher, jedenfalls zunächst, weithin je für sich betrachtet werden: Die Griechen, die kulturell führende Kraft, gingen voraus, und die Römer wurden von Anfang an stark von ihnen geprägt; andererseits brachte die Staats- und Rechtskunst der Römer schließlich das Imperium Romanum und hiermit ein zivilisatorisches Gehäuse hervor, das auch die ganze griechische Sphäre mitsamt ihren östlichen Ausläufern einschloss.

Die Epochen der politischen Geschichte[]

Die Antike lässt sich in drei Hauptepochen gliedern: in die Zeit der Poliskultur (bis zur Herrschaft Alexanders des Großen, 336–323 v. Chr.), in die des Hellenismus (bis zur Herrschaft des Augustus, 27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) und in die römische Kaiserzeit. Hierbei wird von den Anfängen der griechischen Kultur (bis etwa 900 v. Chr.) abgesehen. Diese sind erst von der modernen Archäologie wiederentdeckt worden; für sie haben sich die Bezeichnungen »kretisch-mykenisch« oder »minoisch-mykenisch« eingebürgert. Griechenland befand sich damals noch in seinem prähistorischen, stark vom Orient beeinflussten Zustand.

Das Zeitalter der Poliskultur[]

Nicht lange nach der Jahrtausendwende verbreitete sich bei den Griechen die dem phönikischen Alphabet nachgebildete Buchstabenschrift; im 8. Jahrhundert v. Chr. setzte mit den Epen Homers, mit der »Ilias« und der »Odyssee«, die literarische Überlieferung ein und die geschichtliche, mit fixen Daten in der Erinnerung bewahrte Antike begann. Das Zeitalter der Poliskultur pflegt nach der Beschaffenheit der literarischen und künstlerischen Hinterlassenschaft in die beiden Phasen der archaischen und klassischen Periode unterteilt zu werden. In politischer Hinsicht aber erhielt es dadurch ein einheitliches Gepräge, dass es die für die Griechen  – und mit ihnen auch für die Römer – charakteristische Organisationsform, den autonomen Stadtstaat, zur Entfaltung brachte. (Polis)

Die innere Entwicklung der Poleis begann mit Königen und führte über Adelsherrschaften zu Systemen der Machtverteilung und -kontrolle, wie sie die Menschheit bis dahin noch nie hervorgebracht hatte. Athen, der geistige Mittelpunkt des klassischen Griechenland (5. bis 4. Jahrhundert v. Chr.), wurde auf diese Weise zum Urbild der Demokratie, der »Herrschaft des Volkes«: Aufgrund des Prinzips der »Isonomia«, der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung, hatten alle männlichen Bürger vom 30. Lebensjahr an teil an den staatlichen Entscheidungsprozessen. Das Volk übte somit seine Herrschaft stets unmittelbar durch die Volksversammlung aus; das moderne repräsentative System blieb im antiken Stadtstaat fremd; ebenso in Rom, wo sich, auch im 5. Jahrhundert v. Chr., eine oligarchisch geprägte Staatsform, die »res publica«, durchsetzte. Die Poleis waren und blieben im ganzen griechischen Siedlungsgebiet – von den Küsten des Schwarzen Meeres bis Unteritalien – wechselseitig voneinander unabhängig; sie schlossen sich zwar zu Bünden, jedoch nie zu staatlicher Einheit zusammen.

Der Hellenismus[]

Mit dem Zeitalter des Hellenismus, eröffnet durch Alexanders Sieg über die Perser, fand die Selbstherrlichkeit der griechischen Poleis ihr Ende: Die politische Macht ging nunmehr von den monarchisch regierten Reichen der Diadochen aus und das Mutterland, mit Athen als Zentrum, gab seine hegemoniale Stellung an die Peripherie ab: an die Ptolemäer in Ägypten, die Seleukiden in Syrien und die Antigoniden in Makedonien. Zugleich aber breitete sich die überkommene Poliskultur sprunghaft über alle Mittelmeerländer und im Osten bis nach Indien aus; es entstand eine großräumige Zivilisation, die aus griechischen und orientalischen Elementen gemischt war. Als Lingua franca diente das Griechische, die aus dem Dialekt Athens abgeleitete sogenannte Koine (»Gemeinsprache«). Ein neues kulturelles Zentrum entstand im großzügig von den Ptolemäern dotierten Alexandria.

Während des Hellenismus bereitete sich allmählich die dritte Hauptepoche der Antike vor: die römische Kaiserzeit. Rom stieg im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. zur führenden Macht auf: Damals gelang, nach der Einigung Italiens, die Beseitigung Karthagos, der einzigen ernsthaften Konkurrenz, und die Diadochenreiche fielen eines nach dem anderen den Römern anheim; zuletzt, nach der Schlacht bei Aktium (31 v. Chr.), das von der Ptolemäerin Kleopatra regierte Ägypten. Mit dem Übergang von der hellenistischen Epoche zur Kaiserzeit fällt die wichtigste Zäsur innerhalb der römischen Geschichte zusammen. Die republikanische Staatsordnung hatte sich als unfähig erwiesen, das wachsende Reich zufriedenstellend zu verwalten; aus einem Jahrhundert innerer Kriege ging schließlich die Diktatur Caesars und in der Folge das auf Dauer angelegte monarchische System des Augustus hervor.

Die Kaiserzeit[]

Im Gegensatz zur überaus dynamischen Entwicklung während des letzten Jahrhunderts der römischen Republik zeigt die Kaiserzeit, die Zeit der Pax Romana, ein verhältnismäßig statisches Aussehen. Das halbe Jahrtausend bis zur Völkerwanderung und zum Untergang der westlichen Reichshälfte weist nur eine erhebliche Zäsur auf: die Reichskrise um die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., die dazu führte, dass die noch relativ freiheitliche Verfassung, die Augustus geschaffen hatte, der sogenannte Prinzipat (von lateinisch princeps, »erster Mann«, ein die herausragende Stellung des Kaisers nur andeutender Ausdruck), vom Dominat, einem streng absolutistischen und dirigistischen Zwangssystem, abgelöst wurde. Auch für die Ausbreitung der lateinischen Sprache bedeutete dies einen epochalen Einschnitt: Damals kam die große Expansionsbewegung zum Stillstand, die sich während des Prinzipats des ganzen Westens, d. h. Afrikas, Spaniens und Galliens, sowie des Alpen- und Donauraums bemächtigt hatte.

Christianisierung und Untergang der Antike[]

Die Zäsur des 3. Jahrhunderts n. Chr. hat neuerdings zu der These geführt, dass die nächste Phase, die Spätantike, bereits engere Beziehungen mit der folgenden Zeit, dem Frühmittelalter, aufweise als mit der vorausgehenden. Da das Territorium des Reiches die Krise unbeschädigt überstand, können hierfür nur innere Entwicklungen ins Feld geführt werden, insbesondere die Ausbreitung des Christentums, das im Laufe des 4. Jahrhunderts zur einzig legalen Religion aufstieg. Zugleich machte sich die Kirche den Nimbus der Hauptstadt Rom zu eigen, und ihre Organisation erwies sich als derart stabil, dass sie den Zusammenbruch der staatlichen Verwaltung im Chaos der Germanenzüge überdauerte.

Im 5. Jahrhundert setzten die Vorgänge ein, die der mediterranen Welt der Antike das physische Ende bereiteten. Aus dem sich auflösenden Imperium Romanum gingen über das Zwischenstadium kurzlebiger Germanenherrschaften drei Mächte von Dauer hervor: die islamisch-arabischen Staaten im Süden und Südwesten (in Persien, Armenien, Arabien, Ägypten, Afrika und Spanien), das Fränkische Reich im Norden und Ostrom oder Byzanz im Osten. Die einstigen Herren der Welt, die Römer, waren im Laufe des 6. und 7. Jahrhunderts als ethnische Größe verschwunden und mit ihnen ihre Sprache, das Lateinische; dieses lebte nur noch – dank der Kirche, dann auch dank des Staates – als mühsam erlerntes Zweitidiom romanischer und germanischer Sprecher weiter.

Die Epochen der Kulturgeschichte[]

Die drei Hauptepochen der Antike sind aus den politischen Gegebenheiten abgeleitet; die Perioden der kulturellen Entwicklung, insbesondere die der Literatur- und der Kunstgeschichte, stimmen hiermit nicht immer überein. Die christliche Literatur der Spätantike z. B. war eine von den Geschicken des römischen Staates im Wesentlichen unabhängige Größe. Außerdem macht sich im Bereich der Geistesgeschichte die erwähnte Phasenverschiebung besonders deutlich bemerkbar; als die römische Literatur in ciceronisch-augusteischer Zeit ihre klassische Höhe erreichte, hatte die griechische Schwester ihre (»moderne«) Spätphase schon hinter sich. Kulturhistorisch gesehen ist die Kategorie Antike weithin nichts als ein Rahmen, der die Sukzession der erfindenden Griechen und der nachahmenden Römer einfasst.

Die griechische Kultur[]

Bei den Griechen allerdings stimmen die kulturhistorischen Epochengrenzen im Wesentlichen mit den politischen überein. Die klassische Periode fiel mit der allgemeinen Blüte nach den Perserkriegen zusammen, und später markierten wie im politischen so auch im kulturellen Bereich die Regierungszeiten Alexanders des Großen und des Augustus tiefe Einschnitte.

Die archaische Zeit brachte in der Literatur neben dem Epos und dem Lehrgedicht (Hesiod) eine große Vielfalt lyrischer Formen hervor; allerdings sind von diesem Reichtum außer den Siegesliedern Pindars nicht viel mehr als Fragmente an die Nachwelt gelangt. Epos und Lehrgedicht thematisieren die Mythologie, desgleichen die erzählenden Partien der Lyrik; dort werden überdies die Erlebnisse des Autors dichterisch verarbeitet. – Beim Tempelbau entwickelten sich der dorische und der ionische Stil zu ihrer kanonischen Form; die Großplastik löst sich allmählich von ihren strengen ägyptischen Vorbildern.

Während des klassischen Zeitalters erlebte das Drama – mit den Tragikern Aischylos, Sophokles und Euripides sowie mit dem Komödiendichter Aristophanes – seine Blüte; außerdem brachte nunmehr die Prosa Meisterwerke hervor, z. B. die Geschichtsschreibung (Herodot, Thukydides) und die Beredsamkeit (Isokrates, Demosthenes). Aus der griechischen Aufklärung gingen die Sophistik und Rhetorik (Gorgias) sowie die Philosophie hervor: Sokrates und Platon setzten mit ihrer Art des Argumentierens völlig neue Maßstäbe rationalen Denkens. Aristoteles schließlich verband in seinem gigantischen Werk philosophischen Realismus mit universaler Forschung. Die Medizin erreichte den Status einer von Magie befreiten, rein empirischen Wissenschaft (Hippokrates). Die literarische Produktion konzentrierte sich nunmehr in Athen und demgemäß begann der attische Dialekt die führende Rolle eines gemeingriechischen Verständigungsmittels zu erlangen. In Athen, auf der Akropolis, entstanden auch herausragende Beispiele der klassischen Baukunst: Phidias, der berühmteste Bildhauer der Antike, schuf für den Parthenon das Riesen-Standbild der Athene und den 160 m langen Fries.

Die klassische Literatur und Kunst waren weitgehend an die Polis als Veranstalter (so bei den Dramen-Aufführungen) oder Auftraggeber (Tempel mit Figurenschmuck) gebunden und insofern politisch; das hellenistische Zeitalter brachte hierin, den veränderten Verhältnissen entsprechend, einigen Wandel mit sich. Die Dichtung, z. B. die neue Komödie oder die Bukolik, zog sich weithin in private Sphären zurück; andererseits zeugen Palastbauten wie in Pergamon und pathetische Großplastiken wie die Laokoon-Gruppe vom auf Repräsentation zielenden Stilwillen der hellenistischen Machthaber. Ihre höchste Blüte erreichten die Fachwissenschaften (Philologie, Mathematik, Astronomie, Geografie). In Alexandria, dem neuen Zentrum, entstand eine riesige Bibliothek, in der die gesamte literarische Hinterlassenschaft der Griechen gesammelt und geordnet wurde. Athen behielt als Sitz der Philosophie einige Bedeutung: Dort etablierten sich neben der Akademie Platons und dem Peripatos des Aristoteles zwei weitere Schulen: die Stoa Zenons und der »Garten« Epikurs.

Die griechische Literatur der Kaiserzeit war arm an schöpferischen Impulsen. In sprachlich-stilistischer Hinsicht wandte man sich von den modernen Tendenzen des Hellenismus ab; man suchte in klassizistischer Gesinnung die vorhellenistische Prosa des 4. Jahrhunderts v. Chr. zu erneuern. Poesie von hohem Rang kam nicht mehr zustande; eine für die Epoche charakteristische Erscheinung war der unterhaltsame Liebes- und Abenteuerroman. Die Kunst zehrte von den Stilen und Gattungen der Vergangenheit; Kopien klassischer Meisterwerke schmückten vielerorts Gebäude und Gärten.

Die Kultur der Römer[]

Die Römer, die seit frühester Zeit in fast allen Bereichen der Kultur (Religion, Staat und Recht, Schrift und Münze, Handwerke) offen gegenüber griechischen Einflüssen standen, übernahmen erst in hellenistischer Zeit die Gattungen und Themen der Dichtung, der Wissenschaften und der Philosophie. Hierbei begnügte man sich zunächst weitgehend mit Übersetzungen und Bearbeitungen griechischer Vorlagen und achtete noch wenig auf eine perfekte Kunstgestalt. Auf diese archaische Phase, aus der im Wesentlichen nur die Stücke zweier Komödiendichter, des Plautus und des Terenz, erhalten sind, folgte die Klassik, und zwar in zwei Schüben. Zunächst, in spätrepublikanischer Zeit, herrschte mit Cicero, Caesar und Sallust die Prosa vor, später unter Augustus die metrisch gebundene Dichtung mit Vergil, Horaz und Ovid als den wichtigsten Repräsentanten. Charakteristisch für die Werke dieser Periode ist – bei aller Abhängigkeit von den griechischen Mustern – das Streben nach Originalität bei den Inhalten und nach Makellosigkeit der Form. Während der Kaiserzeit, vom Tode des Augustus bis zur Reichskrise in der Mitte des 3. Jahrhunderts, entwickelte sich die römische Literatur, nunmehr von ihren griechischen Mustern ziemlich unabhängig, auf ihren eigenen Grundlagen weiter. Sie trat hierbei, nach einer Phase kühner Modernität (Seneca), eine Art Krebsgang an: Auf eine klassizistische, an Vergil und Cicero sich orientierende Strömung folgte der Archaismus, der sich den vorklassischen Anfängen der römischen Literatur zuwandte. Die Produktivität nahm bereits im Lauf des 2. Jahrhunderts stark ab; vor der Mitte des 3. Jahrhunderts erlosch sie dann gänzlich.

Die bildende Kunst orientierte sich gleichfalls sehr stark an griechischen Vorbildern, bis hin zu zahlreichen Kopien der klassischen Werke. Eigenständiges brachten die Römer in der Architektur hervor (bedeutende technische Bauten, Villen, Theater, Thermen u. a.), in der Porträtplastik und in historischen Reliefs. Diese Kunst römischen Ursprungs hat stark repräsentativen Charakter bis hin zu propagandistischen Tendenzen (wie die Ara Pacis Augustae).

Roms eigenständigste Leistung, die Jurisprudenz, lässt sich mit der Geschichte der übrigen Literatur nicht in Einklang bringen; sie folgte während der ganzen Zeit ihrer Existenz ihren eigenen Gesetzen. Sie trat im 2. Jahrhundert v. Chr. in das Stadium der Schriftlichkeit ein, wobei die griechischen Fachwissenschaften methodisch und literarisch als Muster dienten; von nun an entstand in ununterbrochener Folge eine Fülle von Kommentaren, Fallsammlungen und ähnlichen Schriften. Ihren Höhepunkt erreichte diese Literatur erst im 2. Jahrhundert n. Chr.; dann allerdings, mit dem Ende des Prinzipats, brach sie schlagartig zusammen. Erhalten ist davon kaum mehr als das, was Kaiser Justinian (527–565) in dem »Digesten« betitelten Teil seines Corpus Iuris (Corpus Iuris Civilis) aufgenommen hat.

Die christliche Literatur der Spätantike[]

Die Christen hatten ursprünglich die ganze Kultur ihrer heidnischen Umgebung als der diesseitigen Welt zugehörig, die es zu überwinden galt, in schroffster Weise von sich gewiesen. In dieser Zeit, bis etwa zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr., entstand die urchristliche Literatur: die Schriften des Neuen Testaments sowie die hiermit verwandten Werke (Evangelien, Apostelgeschichten usw.), die keine Aufnahme in den neutestamentlichen Kanon gefunden haben; dieses Corpus von Texten war für den internen Gebrauch der Gemeinden bestimmt. Unter dem Druck der Verfolgungen änderten die Christen ihr Verhalten: Sie suchten sich den Heiden gegenüber zu verteidigen und verständlich zu machen. So nahm eine Entwicklung ihren Lauf, die im 4. und 5. Jahrhundert ihren Höhepunkt und Abschluss erreichte: Die christlichen Autoren, die Kirchenväter, brachten eine umfängliche, sowohl griechische als auch lateinische Literatur hervor, in der sie die Argumentations- und Stilformen sowie die Gattungen der heidnischen Tradition dazu benutzten, ihren Glauben zu erläutern und vor Missverständnissen zu schützen. Der Aufstieg des Christentums rief noch einmal eine heidnische Reaktion auf den Plan und mit ihr ein letztes Mal eine Literatur, worin das heidnische Rom als leitende Idee gefeiert wurde. Die Auseinandersetzung blieb Episode und die christliche Religion ging unangefochten als die beherrschende geistige Macht der Spätantike daraus hervor. Um die Wende zum 7. Jahrhundert erlosch allerdings nicht nur die pagane (heidnische), sondern auch die christliche Produktivität. Damals breitete sich in Europa, im Westen noch drückender als im Osten, eine kaum vorstellbare kulturelle Ödnis aus.

Die Übernahme der antiken Kultur durch die Völker Europas und des Islam[]

Die Errungenschaften der christlich gewordenen griechisch-römischen Antike sind auf drei Wegen – über das »Nadelöhr« des 7. Jahrhunderts hinweg – an die jungen Völker Europas gelangt. Sie haben erstens bis zur Schwelle der Neuzeit, bis zur Türkeninvasion, im Oströmischen (Byzantinischen) Reich fortbestanden und wurden von dort aus den Slawen vermittelt. Sie erreichten ferner die Völker des Islam, insbesondere die Araber, und drangen auf diesem Umweg nach Süd- und Westeuropa vor. Sie gingen schließlich und hauptsächlich direkt auf die zunächst wandernden, dann sesshaften und Staaten gründenden Germanen und Franken über.

Byzanz[]

In der griechischen Sphäre, im Byzantinischen Reich, lebte die heidnisch-christliche Mischkultur, wie die Spätantike sie hinterlassen hatte, ungebrochen weiter; sowohl die Infrastruktur des Schrift- und Buchwesens als auch die literarische Bildung und die theologische Gelehrsamkeit erfreuten sich dort permanenter, wenn auch von einigem Auf und Ab begleiteter Pflege. Byzanz war mit seinem großen Beharrungsvermögen ein Musterbeispiel für Kontinuität. Im 15. Jahrhundert, ehe es nach seiner fast tausendjährigen Geschichte unterging, gab es sein Erbe, die griechische Sprache und Literatur, an die Humanisten des Westens weiter.

Die islamischen Völker[]

Die griechische Kultur, die schon in hellenistischer Zeit weit nach Asien hinein gewirkt hatte, wurde von den islamischen Völkern nur zum Teil übernommen. Während die Christen der Spätantike nach einigem Zögern sogar die heidnischen Mythen toleriert hatten, brachte die Religion Mohammeds eine rigorose Rezeptionsbarriere mit sich, die nicht nur alles Christliche, sondern auch die gesamte heidnische Dichtung und Geschichtsschreibung ausschloss. Die Araber machten sich lediglich die Philosophie und die Wissenschaften der Griechen zu eigen, dies allerdings mit großer Gründlichkeit. Im hohen Mittelalter gelangte über Spanien ein großer Teil dessen, was sie übernommen und fortentwickelt hatten, in den lateinischen Westen. Die auf diese Weise vermittelten Werke des Aristoteles trugen erheblich zur scholastischen Hochblüte der Philosophie und Theologie bei.

Süd-, West- und Mitteleuropa[]

Die Kulturübernahme durch die germanischen Völker war der komplizierteste und folgenreichste Rezeptionsprozess innerhalb der antik-europäischen Geschichte. Während der Anfänge, in der Völkerwanderungszeit, war die Übernahme (durch die Fremden) noch stark mit bloßer Kontinuität – bei der einheimischen einstigen Reichsbevölkerung sowie bei der Kirche als fest gefügter Institution – vermischt. Die Übernahme aber lässt, als Ganzes betrachtet, wie die der griechischen Kultur durch die Römer zwei Hauptphasen erkennen: Die jungen Völker und Staaten beschränkten sich zunächst auf das Elementare und das der Lebenspraxis Dienende (auf die Religion – in diesem Fall die christliche – sowie auf die lateinische Sprache mitsamt Schrift- und Urkundenwesen und auf Handwerk und Handel); die Aneignung der geistigen Kultur hingegen blieb späteren Epochen vorbehalten.

Die erste Phase vollzog sich im Wesentlichen während der Spät-Antike; von ihr zeugen z. B. die dem Lateinischen entstammenden deutschen Wörter des Hausbaus (wie Mauer, Keller, Dach) und des Handels (wie kaufen, Pfund, Münze). Sie hat offensichtlich in direkter Übernahme durch Nachahmen bestanden. Die zweite Phase aber beruhte ganz und gar auf dem Studium von Büchern. Die christlichen Klöster, eine Schöpfung der Spätantike, hatten ihren Insassen die Pflicht auferlegt, Bücher abzuschreiben, auch wenn diese weder benötigt noch auch nur gelesen wurden. Aus diesem Vorrat an philosophischen, fachwissenschaftlichen und sonstigen Werken konnte sich jede Epoche das ihr Gemäße aussuchen; so erklären sich die verschiedenen Wellen der Antike-Rezeption im Mittelalter und in der Neuzeit.

Die Übernahme der Kultur der Antike durch Europa scheint dem griechisch-römischen Rezeptionsprozess auch darin geähnelt zu haben, dass bei der geistigen Aneignung dem souveränen, ganz von eigenen Intentionen gesteuerten Umgang mit dem Erworbenen eine Stufe relativ unselbstständigen Lernens vorausging. So wartete die Karolingerzeit, die vornehmlich an die Theologie, die Artes liberales (zumal die Grammatik und Rhetorik) und die Dichtung der lateinischen Spät-Antike anknüpfte, in nicht geringem Maße mit Werken auf, die aus vorhandenen Schriften zusammengestückelt waren, mit Kompilationen und Exzerptensammlungen, ferner mit Wörterbüchern und Übersetzungen. Das Programm der Scholastik, die Durchdringung des christlichen Glaubens mit rationalen Mitteln, führte zum ersten Mal zu selbstständiger Benutzung der Überlieferung, in diesem Fall der aristotelischen Philosophie und der Theologie der Kirchenväter. Zur selben Zeit begann man in Bologna und andernorts, sich des Corpus Iuris Justinians anzunehmen; aus diesen Bemühungen ging in ungestörter Kontinuität die europäische Rechtswissenschaft der Neuzeit hervor.

Doch erst mit der Renaissance erreichte die Übernahme der antiken Kultur ihren Höhepunkt und ihre volle Instrumentierung; erst damals suchte man in allen Bereichen – in der Architektur und den bildenden Künsten nicht weniger als in sämtlichen Wissenschaften und Zweigen der Literatur – für die eigenen Zwecke dienstbar zu machen, was an Schriften und Monumenten aus der Antike überkommen war. Hieran schlossen sich noch die französische (17. Jahrhundert) und die deutsche Klassik (Weimarer Klassik) als die letzten Epochen an, für die die Antike programmatische Bedeutung hatte. Jetzt machten sich – je später, desto stärker – die wissenschaftlichen und technischen Fortschritte bemerkbar, welche die berühmte Querelle des anciens et des modernes unter Ludwig XIV. zum ersten Mal registriert hatte. Europa fühlte sich auf diesen Gebieten mündig und die Mustergültigkeit der Antike beschränkte sich nunmehr auf die Kunst und die Literatur.

Zugleich mit der deutschen Klassik trat eine vornehmlich pädagogische Richtung ins Leben, der Neuhumanismus, der ausgehend von Deutschland bald ganz Europa in seinen Bannkreis zog. Der Gründer J. J. Winckelmann verkündete ein Bild vom antiken Menschen, das ganz und gar auf den Griechen, auf deren Kunst zumal, beruhte, und die Weimarer Klassik verlieh dem hieraus abgeleiteten Ideal wahrer Humanität den weltanschaulichen Rückhalt. Die bildende Kunst nahm als Klassizismus die Formen, häufig auch die Themen der antiken Kunst wieder auf. Etwa gleichzeitig begann die von F. A. Wolf geschaffene Altertumswissenschaft die gesamte Kultur der Griechen und Römer nach den Prinzipien der neuen historischen Hermeneutik kritisch zu erforschen, und das dem Reformer W. von Humboldt verpflichtete humanistische Gymnasium war nach einem Lehrplan eingerichtet, der die zeitgenössische Vorstellung von der Antike zur Grundlage der Allgemeinbildung machte. Der Neuhumanismus, dessen Ansprüche von Nietzsche u. a. angefochten wurden, erstarrte im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Routine; er verband sich zumal in Deutschland mit nationalistischen Tendenzen und verlor schließlich im 20. Jahrhundert erst langsam, dann rapide an Geltung.

Unabhängig davon stellt die antike Kultur auch in der Gegenwart Künstlern und Schriftstellern ein unerschöpfliches Reservoir von Stoffen, Formen und Gestaltungsmustern zur Verfügung, die sich mit jeder Neuinterpretation als lebendiges, immer neu zu hinterfragendes, kostbares Erbe erweisen.

Die Periodisierung der europäischen Geschichte[]

Der Begriff der Antike im Sinne einer Geschichtsperiode mit bestimmten zeitlichen Grenzen ist aufgekommen, als ihre Rezeption der Leitgedanke und Namengeber eines ganzen Zeitalters, nämlich der Renaissance, d. h. der »Wiedergeburt« der Antike, war. Er beruhte ursprünglich auf der Geschichtsbetrachtung und Selbsteinschätzung der italienischen Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts. Diese glaubten und lehrten, dass das Mittelalter eine Periode des Verfalls, der Barbarei gewesen sei und dass es gelte, darüber hinweg an die einstigen Griechen und Römer anzuknüpfen, ihre Kultur zu erneuern und ein Zeitalter herbeizuführen, das die Leistungen der Antike nochmals zu vollbringen vermöge. Aus diesem Bemühen, die Künste und Wissenschaften der Antike wieder erstehen zu lassen, ergab sich ein Geschichtsmodell, das aus den drei Phasen »einstige Größe (= Antike) – Niedergang (= Mittelalter) – Wiedergewinnung der einstigen Größe (= eigene Zeit, Neuzeit)« bestand.

Das dreiteilige Schema begann seine Karriere bei der neuen, von den Humanisten geschaffenen Literatur: Die Gründer der neuen Epoche, allen voran Petrarca, galten als Dichter und Schriftsteller, die durch ihre an das antike, das klassische Latein anknüpfenden Werke eine von der Spätantike bis zur Scholastik reichende Epoche des sprachlich-literarischen Niedergangs beendet und mit der lateinischen Literatur einen neuen Anfang gemacht hätten. Von hier aus wurde das Bild von einer »Renaissance« der antiken Leistungen zunächst auf die bildenden Künste und schließlich auf die gesamte Kultur ausgedehnt. Das Schema mutierte allmählich vom Programm der Humanisten zur allgemein anerkannten Gliederung der europäischen Geschichte, sodass es schließlich die universalhistorischen Periodisierungen der christlichen Tradition, insbesondere die Lehre von den vier Weltmonarchien, verdrängte. Es war deshalb so erfolgreich, weil sich im Jahrhundert seiner Entstehung, während des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit, die welthistorischen Wendepunkte häuften: nicht nur die von den Humanisten selbst herbeigeführten, sondern auch solche, die außerhalb ihres Wirkens lagen, wie die Entdeckung der Neuen Welt.

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